Selektion der besonderen Art

Editorial - Blue BookVor Kurzem war ich Zeuge, wie ein DC die Regeln im “Blue Book” auch tatsächlich angewandt und durchgesetzt hat. Sehr zum Entsetzen der betroffenen Aussteller, deren Pferde disqualifiziert wurden, weil sie nicht rechtzeitig im Vorring erschienen sind und dadurch die gemeinsame Schrittrunde im Hauptring verpasst haben (Schauregel 23b “Pferde, die zu spät erscheinen (und die Schrittrunde versäumen), werden von der Klasse ausgeschlossen.”). Die Aussteller waren nicht gerade einsichtig, dass der Fehler auf ihrer Seite lag, vielmehr meinten sie “aber die DC’s an anderen Schauen sind nicht so streng!”
Ein anderes Beispiel: Ein Richter wendet tatsächlich die gesamte Bandbreite der Notenskala an, und gibt für ein fehlerhaftes Fundament eine 4. Der Richter, dank seiner beruflichen Ausbildung als Tierarzt hat Ahnung von der Materie, ist sich seiner Sache sicher und macht sich auch eine Notiz, warum er diese Note gegeben hat. Der Pferdebesitzer ist entsetzt, eine “4” ist ein Skandal, die Erklärung interessiert ihn nicht, denn die beiden anderen Richter haben eine “Standard-6” gegeben. Ganz klar, die beiden haben recht, der eine liegt völlig daneben. Er geht wütend zum Organisator und schreit, “Wenn Du den Richter nochmals einlädst, komme ich nicht wieder!” Das wäre dann ein zahlender Kunde weniger.
Ich vermute einmal, dass der Organisator weder diesen Richter noch diesen DC wieder einladen wird, denn es wird andere DCs geben, die durch Wegschauen bei den Ausstellern beliebter sind, und es wird andere Richter geben, die sich mit hohen Noten beliebt machen. Es entsteht damit eine gewisse Selektion – leider in die falsche Richtung, denn auf diese Weise werden DCs, die die Regeln anwenden und Richter, die die Notenskala ausnutzen, “ausselektiert”. Man hat also nur die Wahl, seiner Linie treu zu bleiben, und nicht mehr eingeladen zu werden, oder sich anzupassen und wegzuschauen.
Wenn jedoch bestehende Regeln und Richtlinien nicht gleichermaßen für alle geltend angewandt und durchgesetzt werden, kommt automatisch der Verdacht von Vetternwirtschaft auf. Das System verliert an Glaubwürdigkeit und somit an Unterstützung – auch von Seiten der Aussteller. Denn was häufig nicht bedacht wird: Es gibt zwar eine laute Minderheit, die sich beschwert (der betroffene Aussteller), aber eine schweigende Mehrheit, die eine harte aber gerechte Entscheidung wohlwollend zur Kenntnis nimmt.
Darauf zu achten, dass bestehende Regeln und Maßstäbe von den Offiziellen angewandt werden, ist eine Sache der übergeordneten Institutionen. Dass dies offensichtlich nicht so einfach ist, zeigt auch der Fall Totilas oder der Skandal im Distanzsport (siehe Ausgabe 1/2015). Wichtig wäre es daher, diese „falsche Selektion“ zu unterbinden, und denjenigen, die „hart aber fair“ sind, den Rücken zu stärken. Auch mit öffentlichen Erklärungen. Auch mit einem anderen Auswahlmechanismus für Richter und DCs, die den Schauen zugeteilt, und nicht vom Organisator ausgewählt werden sollten.

Ob es dazu kommt? Ich glaube nicht. Aber vielleicht hilft es ja schon, wenn der eine oder andere einmal darüber nachdenkt.
Gudrun Waiditschka

(Editorial “Arabische Pferde IN THE FOCUS”, Ausgabe 3/2015)