Das neue Buch von Dr. Matthias Oster über die „Sieben Säulen der Welt des Arabischen Pferdes“ erläutert die Herkunft dieser Pferderasse und die Grundprinzipien ihrer Zucht.
Nachfolgender Beitrag erklärt die Ambivalenz zwischen Kriegspferd und Familienpferd – ein Kapitel aus diesem Buch.
Das Kriegspferd und das Familienpferd – Schlussfolgerungen
Selbst wenn nicht jedes Verhaltensmuster genau einem der beiden Typen zugeordnet werden kann, können beide doch als Antipoden des Charakters der arabischen Rasse bezeichnet werden. Die erste, das Kriegspferd, ist mehr eine Eigenschaft des maskulinen Hengstes, die zweite, das Pferd im Zelt, der fürsorgenden Mutterstute. Ein hohes Maß an Domestikation liegt im Streit mit einem hitzigen Temperament, das noch immer nahe am Wildpferd ist. „Die Sanften und die Feurigen“, Titel eines Buches über die Araber Marbachs, bringt es auf den Punkt.
Der Charakter eines jeden Arabers setzt sich zusammen aus diesen gegensätzlichen Eigenschaften und kann auf einer Skala zwischen diesen beiden Extremen eingeordnet werden. Die meisten Pferde sind eine Komposition von beidem und tendieren mehr oder weniger auf eine Seite der Skala. Idealerweise haben sie die besten Eigenschaften beider Typen mitbekommen: Sie lieben den Menschen und wollen ihm gefallen, sind furchtlos und intelligent, vertrauen auf ihren Herren aufgrund einer erworbenen gegenseitigen Beziehung. Manche Pferde benötigen dazu einen längeren Weg, doch oft belohnen die herausfordernderen Tiere die Anstrengung auf überwältigende Weise.
Die andere Seite der Medaille zeigt das sensible und sanfte Pferd, das Familienpferd. Es ist vom ersten Tag an dem Menschen zugewandt, liebt es gestreichelt zu werden und sucht die Gegenwart von Menschen. Es toleriert eine Menge Fehler, die von den Bezugspersonen gemacht werden, solange diese durch Zuwendung und Futter wieder gutgemacht werden. Es ist unterwürfiger und ordnet sich leichter unter, doch es bringt oft nicht die Leistung, die man vielleicht erwartet. Manche mögen etwas stur sein und benötigen viel Motivation oder haben oft keine Lust am Arbeiten. Diesen Mangel an Ehrgeiz machen manche wieder gut durch ihre Dressurveranlagung, doch das Training darf sie nicht langweilen. Hengste zeigen vielleicht wenig männliches Verhalten, vor allem wenn sie von anderen Hengsten des Kriegspferdetyps unterdrückt werden und sie sich nicht trauen, sich als Hengst zu präsentieren. Doch die Besitzer eines solchen Pferdes sollten nicht vergessen, dass deren Temperament nur unter der Oberfläche versteckt ist und ganz unerwartet zum Vorschein kommen kann. Ein solcherart gestricktes Familienpferd kann ein einziges Anzeichen eines Kriegspferdes besitzen, nämlich in bestimmten Situationen übermäßig zu reagieren. Für Schauen eignen sich Familienpferde ebenfalls weniger, da ihnen diese „look-at-me“ Attitüde fehlt, die im heutigen „Show-Circus“ gefordert ist. Mit Plastiktüten und ähnlichem Schnick-Schnack wird dann nachgeholfen.
Ein ziemlich störendes Verhalten beobachtet man bei vielen Arabern, sowohl bei Hengsten als auch bei Stuten: das Kreisen des Kopfes bei Erregung. Es ist, als ob sie zu viel aufgestaute Energie loswerden wollen. Das kann recht gefährlich werden, wenn man vom harten Kopf getroffen wird. Dieses Kopfsschlagen ist ein Kriegspferde- und ein intra-Spezies-Verhalten der Aggression, das selbst in den ausgesprochenen Familienpferden anzutreffen ist.
Man sagt, dass Arabische Pferde niemals vergessen. Für einen Besitzer, der gleichzeitig Tierarzt ist, möglicherweise eine Herausforderung, da er ja nicht immer Schmerzen vermeiden kann, wenn er sein Pferd behandelt. Das Familienpferd kommt zum Vorschein, wenn ein Araber Schmerzen hat: Es kann sehr rührend wirken, wenn der Araber sein schmerzhaftes Bein dem Menschen entgegenstreckt. Arabische Pferde zeigen mehr Schmerz als andere Rassen. Ursache ist einmal das große Temperament, aber auch die Beziehung zum Menschen. Man könnte den Eindruck bekommen, dass es sich um einen „Softy“ handelt, da es so offensichtlich leidet. Das mag täuschen, denn die sprichwörtliche Härte und Toleranz des Beduinenpferdes wird sich im Ausgang der Erkrankung zeigen und nicht im Ausdruck des Schmerzes. Es wird außerdem Trost und Hilfe beim Menschen suchen, wenn es Krankheit und Schmerz erleidet. Der Autor hat lebensbedrohende Krankheiten bei Arabern erlebt, bei denen er nicht umhin konnte, dem Tier ein gewisses Bewusstsein der Brisanz des Geschehens zuzusprechen. Auch die anderen Pferde der Herde reagierten. Die gesamte Atmosphäre im Stall veränderte sich völlig. Pferde, die normalerweise sich mitteilten, sind zu solchen schrecklichen Zeiten stumm. Ähnlich, doch gänzlich anders, geht es an den Tagen zu, die von freudigen Ereignissen bestimmt werden. Neues Leben in Gestalt eines Fohlens wird von den Pferden begrüßt. Kommt man des Morgens in den Stall und in der Nacht ist unerwarteterweise ein Fohlen geboren worden, so trifft man den ganzen Stall in Aufregung an. Auch gibt es Pferde, die dem Menschen die bevorstehende Geburt eines Fohlens mitteilen können. Montasar (Madkour X Maymoonah), viele jahre lang Hauptbeschäler des Gestüts Seidlitz, tat das, wenn seine Lieblingsstute in der Nachbarbox in nächster Zeit fohlen würde. Wie das? Natürlich durch Reden! Auf seine ganz eigene Weise! Indem er seine Vorfreude zum Ausdruck brachte, dass er seine Stute bald wieder in seinem Harem empfangen kann.
Dr. Matthias Oster
Dr. Matthias Oster: „“Das Erbe der Beduinen“, erschienen im Eigenverlag 2018 (in deutscher Sprache)
ca. 300 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Hardcover
Zu beziehen beim Autor: dr.matthias.oster@t-online.de
oder www.arabianheritagesource.com/
Preis: 59,00 €