Ein Paradigmenwechsel ist nötig!

Im Distanzsport ist der Schnellste auch immer der Beste – tatsächlich? Nachdem der Distanzsport im Mittlerer Osten zu einem Flachrennen über 160 km pervertiert ist, und trotz aller “Reförmchen” noch immer Pferde sterben, fordert Scheich Sultan ein Umdenken: Bei ihm ist das Pferd mit der besten Kondition der Sieger. Seine “Bouthieb-Regeln” fordern einen Paradigmenwechsel.

Nachdem also die FEI (Weltreiterverband) und die EEF (Emirates Equestrian Federation, FN der UAE) am 11. Februar eine Vereinbarung mit neuen Regeln unterschrieben haben, war der CEI*** 160 km “HH The President of the UAE Cup”, der für den 13. Februar angesetzt war, der erste Ritt unter den neuen Regeln. Er fand mit 190 Startern statt, von denen 140 nicht das Ziel erreichten, etwa Hundert Pferde fielen wegen Lahmheit aus. Zum Glück gab es keine “katastrophale Verletzung”, d.h. keine Todesfälle.
Am 19. März wurde der CEI** 140 km “Crown Prince Cup” kurz vor der Vorinspektion annulliert, und vom Organisator dann in einen CEN 120 km-Ritt umfunktioniert. Da FEI Endurance Direktor Manuel Bandeira de Mello vor Ort war, kann man nur mutmaßen, dass der Grund dafür in der Nichteinhaltung der Regeln lag, die am 11. Februar von der FEI eingeführt wurden.
Am 23. März starb wieder ein Pferd: Der 10jährige Texas, geritten von Sh. Mohamed Bin Mubarak Al Khalifa von Bahrain; er erlag einer “katastrophalen Verletzung” während des CEN 120 km “Endurance Trainer Cup”.

Die “Bouthieb Regeln”

Der derzeit einzige Silberstreif am Horizont ist die Initiative von S.H. Scheich Sultan bin Zayed Al Nahyan, der in seinem “Endurance Village” Bouthieb in Abu Dhabi im Alleingang neue Regeln implementiert hat, die offensichtlich Wirkung zeigen. So wird bei “seinen” Ritten das Pferd mit der besten Kondition belohnt, die Höchstgeschwindigkeit auf 20 km/h festgesetzt (und mittels GPS kontrolliert), Crewing Points gibt es alle 1 km, dort können die Pferde getränkt werden, und crewing ist auch nur dort erlaubt; der letzte Crewing Point ist 2,5 km vor der Ziellinie. Es ist nur ein Auto pro Trainer und fünf Pferden zugelassen. Der Puls darf höchsten 56 bpm betragen an allen Vetgates, und ein obligatorischer Hyposensibilitätstest an den Beinen wird durchgeführt. Das Endergebnis wird während des Rittes fortschreitend aufaddiert und auf Basis der Konditionswerte eines jeden Pferdes errechnet.

H.H. Scheich Sultan Bin Zayed Al Nahyan diskutiert seine "Bouthieb Regeln" mit der Autorin dieses Beitrags.Foto: Pamela Burton, www.horsereporter.com

H.H. Scheich Sultan Bin Zayed Al Nahyan diskutiert seine “Bouthieb Regeln” mit der Autorin dieses Beitrags.
Foto: Pamela Burton, www.horsereporter.com

Während des 10. Bouthieb Festivals in Abu Dhabi hatte ich die Gelegenheit, mit H.H. Sheikh Sultan über die Situation des Distanzreitsports in den UAE zu sprechen. “Sehen Sie”, erklärte Seine Hoheit, “wir haben hier in den UAE eine ganz andere Situation als Sie in Europa, USA oder Australien. In Ihren Ländern sind es die Pferdebesitzer selbst, die ihr Pferd im Wettbewerb reiten, die zu Hause mit ihm umgehen und es pflegen. Diese Leute lieben ihre Pferde und kennen ihre Pferde in und auswendig. Hier in den UAE, sind die Besitzer nicht die Reiter, sie heuern Reiter an. Aber die meisten dieser Reiter sind keine Profis. Oftmals sind nicht einmal die Trainer Profis. Als Resultat haben wir die Situation wie sie ist, und Pferde verletzen sich und sterben sogar.” S.H. Scheich Sultan betont ausdrücklich, dass seine Regeln nicht “aus dem Hut gezaubert” wurden, sondern das Ergebnis einer Analyse von mehreren Hundert Ritten und Tausenden von Einzelergebnissen sind. “Die Analyse ergab ganz klar, dass der Schlüssel zu allem in der Reduzierung der Geschwindigkeit liegt”, erklärt Scheich Sultan mit Nachdruck. Um seinen Standpunkt zu untermauern, führte Scheich Sultan für alle nationalen Ritte in Bouthieb seine Regeln ein. “Die Reiter, Trainer und Besitzer waren am Anfang alles andere als glücklich darüber”, erinnert sich Scheich Sultan, “aber nach dem ersten Ritt sahen wir doch sehr viele lachende Gesichter und allen hat der Wettbewerb unter den neuen Regeln gefallen.”
Ich fragte S.H. Scheich Sultan, was er von einer Änderung der Streckenführung hält, weg von den rennbahnähnlichen Pisten, hin wieder zu Wegen, die sich durch die Sanddünen winden, wie es beim ersten Weltchampionat 1998 in Dubai war. Wäre das nicht auch eine Möglichkeit, die Geschwindigkeit zu reduzieren? “Ich glaube nicht, dass dies hier funktionieren würde, denn – wie ich bereits erklärt habe – sind die Reiter keine Profis, ihnen fehlt das Wissen. Sie würden im Galopp durch die Sanddünen reiten und die Pferdebeinen würden wieder leiden.”
Abgesehen von der Geschwindigkeit, ist eine andere Stellschraube, an der man drehen kann, die Pulsfrequenz pro Minute in den Vetgates. Nach den Bouthieb-Regeln muß der Puls 56 bpm oder niedriger sein in allen Vetgates. Um ihn unter dieser Schwelle zu halten, bedarf es rücksichtsvollen reitens und weniger Geschwindigkeit. Und beides geht Hand in Hand, um Stoffwechselprobleme zu minimieren.

Die neuen Regeln in der Praxis

Alle nationalen Ritte in Bouthieb werden nach den neuen Regeln durchgeführt. Die internationalen Ritte sind noch immer unter FEI und die Ergebnisse daher von der FEI anerkannt, aber der offizielle Gewinner, der am schnellsten das Ziel erreicht, erhält nur 30 % des Preisgeldes, 70 % gehen an die, die den Regeln von Sheikh Sultan entsprechend reiten – und diese haben das Wohl des Pferdes als höchste Priorität.
Diese Regeln wurden mittlerweile (Stand Ende Januar) an drei Veranstaltungen mit insgesamt acht Ritten und 1077 Pferden getestet. Das Ergebnis: nur fünf Pferde mußten tierärztlich in der Klinik versorgt werden, aber weder ihr Leben noch ihre Zukunft im Sport waren in Gefahr und sie hatten die Klinik am Nachmittag bereits wieder verlassen. Vergleicht man dies mit den bis zu zehn Todesfälle im gleichen Zeitraum an den anderen Ritten, so ist das Ergebnis klar.
Nachdem nun andere die Arbeit gemacht haben, springt auch die FEI auf den fahrenden Zug auf. FEI Endurance Direktor Manuel Bandeira de Mello erklärte: “Es ist mehr als deutlich, dass die Geschwindigkeit ein Hauptfaktor für diese Vorfälle ist und dass es nötig ist, Maßnahmen zu ergreifen, um die Geschwindigkeit der Pferde zu reduzieren und damit auch die Zahl der schweren Verletzungen zu verringern. Die FEI ist in dringlichen Gesprächen mit der Emirates Equestrian Federation (EEF) und einzelnen Veranstaltern, um ähnliche Regeln einzuführen, die die Geschwindigkeit reduzieren, und die so erfolgreich an den jüngsten Veranstaltungen in Bouthieb benutzt wurden.”
Ob sich die “Bouthieb-Regeln” mit ihrer Geschwindigkeitsbegrenzung durchsetzen werden und von der FEI in ihrer Gänze übernommen werden oder nicht, hängt von vielen Faktoren ab. Diese neuen Regeln erfordern nicht nur ein “Umdenken”, sie fordern einen Paradigmenwechsel, denn das schnellste Pferd ist nicht mehr der Sieger: Die Geschwindigkeit wird limitiert und der Sieger ist das Pferd mit der besten Kondition. Das gesamte Konzept des Distanzreitsports muß auf den Prüfstand: Liegt die Zukunft dieses Sports in Flachrennen über lange Distanzen, die auf einer präparierten Piste gegen die Uhr gelaufen werden, oder sollten andere Kriterien, wie überlegtes Reiten, Taktik und vor allem das Pferdewohl die Kriterien sein, die den Sieger ausmachen? Für Seine Hoheit Scheich Sultan gibt es keinen Zweifel, und er stellte ein Ultimatum: “Reformieren oder aufhören – aber keine Kompromisse!”
Gudrun Waiditschka

Was zuvor geschah können Sie hier nachlesen:
15. März 2015: Genug ist genug
7. Februar 2016: Und das Sterben geht weiter…
14. Februar 2016: FEI und EEF einigen sich auf Maßnahmen im Distanzsport