Distanzsport am Scheideweg (II) –
Die Bouthieb-Initiative in Abu Dhabi

Die Bouthieb Initiative will den Distanzsport auf die alten Werte zurückführen, indem mehr Horsemanship und weniger Geschwindigkeit belohnt werden.

Bouthieb - IMG_9131 (c) Waiditschka-600px
Einer, der die Einstellung seiner Landsleute zum Pferd und zum Distanzsport ändern will, indem er ein gutes Beispiel gibt und vor allem die junge Generation entsprechend schulen will, ist der im Emirat Abu Dhabi ansässige H.H. Sheikh Sultan Bin Zayed Al Nahyan. Er geht mit der Bouthieb Initiative einen anderen, einen für die arabische Welt ganz neuen Weg.

Mit gutem Beispiel voran

Als die UAE im März 2015 wegen diverser toten Pferde, Regelverstößen und Betrügereien in Form von gefälschten Rittergebnissen von der FEI vorübergehend suspendiert wurden, waren zahlreiche Verantwortliche in den UAE entrüstet. Scheich Sultan aber nahm die Gelegenheit beim Schopf und führte für die Saison 2015/2016 seine Bouthieb-Regeln auf seiner Distanzritt-Anlage ein. Bouthieb ist ein „Endurance Village“, ähnlich wie Al Wathba oder Dubai International Endurance City (DIEC), und ist seit 2006 in Betrieb. Hier wurden jährlich etwa ein Drittel der Ritte in UAE abgehalten mit bis zu 500 Startern pro Ritt. Aber seit zwei Jahren wird in Bouthieb die Fitness und die Gesundheit des Pferdes über die Geschwindigkeit gestellt, das geht sogar soweit, dass die Geschwindigkeit auf 20 km/h begrenzt wird, denn „speed kills“ (Geschwindigkeit tötet).
Den Bouthieb-Regeln liegen verschiedene Überlegungen zugrunde: Sie sollen gutes Horsemanship (d.h. pferdegerechten Umgang mit dem Pferd) fördern und damit dem Schutz der Pferde während eines Rittes – aber auch im Training, wenn diese Regeln auch hier befolgt werden – dienen. Es ist der Versuch, den Distanzsport wieder zu seinen Wurzeln zurückzuführen, als er noch ein vielseitiger Test für reiterliche Fähigkeiten und konditionelle Eigenschaften des Pferdes war. Das Ziel ist es, ein möglichst objektives Bewertungssystem zu entwickeln, das gute Pferde und gutes Horsemanship belohnt, immer mit dem Wohlergehen des Pferdes als zentrales Interesse.
Zur Bouthieb-Initiative von Sheikh Sultan gehört auch die Bouthieb-Akademie, in der einheimische Jugendliche kostenlos reiten lernen und gleichzeitig auch Horsemanship vermittelt bekommen. Das heißt beispielsweise, dass sie ihr Pferd selbst putzen und satteln – was in UAE absolut unüblich ist. Sie lernen dabei, dass das Pferd kein Sportgerät ist, sondern ein Partner, dessen Stimmung und Leistungsfähigkeit oder -bereitschaft man erkennen kann, wenn man ihn nur gut genug kennt.
Das „Bouthieb Protokoll“ wird seit der Saison 2015/2016 umgesetzt und für alle CEN’s in Bouthieb als alleiniges Regelwerk verwendet. Für CEI’s ist der „Best Endurance Challenge Award“ (BECA) als zusätzliche Auszeichnung zu verstehen, die für viele whichtiger ist, als das FEI-Ergebnis. Die Bouthieb-Regeln basieren auf einem möglichst objektiven Punktesystem, dem die optimale Geschwindigkeit, die Erholungszeit, der Erholungspuls, metabolische Kriterien und der Gang zugrundeliegen. Bislang nahmen bei den Bouthieb-Ritten etwa 2700 Starter teil, und es gab keine einzige „Catastrophic Injury (CI)“, keine tödliche Verletzung auf der Strecke; lediglich ein Pferd starb am Tag nach dem Ritt an einer Kolik (aber derartige Fälle sind aber bei den anderen Ritten nicht in den CI’s enthalten).
Wenn im März die Distanzrittsaison in den UAE zuende ist, liegen die Ergebnisse von zwei Saisons vor. Außerdem fanden 2016 bereits die ersten Ritte im Ausland statt, die nach den Bouthieb-Regeln (ggf. mit Modifikationen) einen „BECA“ ausgeschrieben hatten, so z.B. die 120 und 160-km-Ritte in Marbach und der Persik-Trail in Frankreich im letzten Jahr; auch deren Ergebnisse und Erfahrungen wurden verarbeitet.

Regel-Änderungen seit 2015/2016

Aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungswerte wurden die Bouthieb-Regeln geringfügig angepasst. So gilt zwar noch immer 20 km/h als die optimale Geschwindigkeit, aber es wurden die „Strafpunkte“ für zu schnelles Reiten im Bereich von 20,0 bis 20,99 km/h reduziert. Wer schneller als 21,0 km/h reitet ist nach wie vor vom BECA-Award disqualifiziert. Die optimale Geschwindigkeit kann für Ritte außerhalb der UAE auch abgesenkt werden, wobei es jedoch zu bedenken gilt, dass bei technisch anspruchsvollen Ritten kaum über 20 km/h geritten wird – somit also die „Geschwindigkeitsbegrenzung“, die von vielen Reitern als „Einschränkung“ überbewertet wird, auch keine Rolle spielt!
Für die Erholungszeit (Recovery Index, RT) gibt es (nur noch) maximal 20 Punkte, der Puls muß bei 56 Schlägen liegen, nach maximal 10 Minuten Präsentationszeit. Der Pulswert kann außerhalb der UAE vom Veranstalter modifiziert werden, so wie beispielsweise in Marbach letztes Jahr, wo er bei 60 Schlägen lag.
Auch die Pulserholungszeit (Cardiac Recovery Index, CRI) wurde an die neuen Erkenntnisse angepasst: Wenn der zweite Puls, gemessen 1 Minute nachdem das Pferd getrabt ist, nicht mehr als 2 Schläge über dem ersten Pulswert liegt, erhält man 2 Punkte, wenn es mehr als 2 Schläge sind, gibt es keinen Punkt. Liegt der Puls über dem RT, muß das Pferd zur Nachinspektion.
Das ausführliche detaillierte Punktesystem für den BECA finden Sie in Kürze auf unserer Internetseite unter „Die Bouthieb-Regeln erklärt“ (www.in-the-focus.com/2017/03/die-bouthieb-regeln-erklaert)
Eine wesentliche Änderung, welche für die 2016/2017-Saison in Bouthieb vorgenommen wurde, ist jedoch die Rückkehr zu „Naturwegen“. Diese „natural trails“ machen mittlerweile rund 30-50 % der Strecke in jedem Loop aus, und werden von Reiter – und Pferden! – sehr gut angenommen. Automatisch wird durch diese Streckenabschnitte die Geschwindigkeit reduziert, denn hier ist oftmals aus Gründen der Bodenbeschaffenheit (Sand, Kurven) nur Trab möglich. Dies wird aber auf lange Sicht auch eine Änderung der Reitweise bedeuten, denn die in den arabischen Ländern übliche „Harley Davidson“-Reitweise mit extrem langen Bügeln und vorgestreckten Beinen ist dann kaum mehr möglich.

Die Bouthieb-Konferenz 2017

Im März 2017 lud Scheich Sultan diverse internationale Vertreter der Distanzreiterszene und der Fachpresse nach Abu Dhabi zur „Bouthieb Konferenz“ ein, um beim 11. Bouthieb Festival die Regeln in die Tat umgesetzt erleben zu können. In engagierten Vorträgen und anregenden Diskussionen wurden die großen Unterschied zwischen den Ritten im Mittleren Osten und Europa (oder USA, Australien, etc.) klar: Zuerst ist die Wegführung zu nennen (flache Rennpisten versus technisch anspruchsvolle Wege), die Reiter (Jockeys, die das Pferd nicht kennen versus Besitzer-Reiter, die ihr Pferd durch und durch kennen), die Geschwindigkeit (so schnell wie möglich versus optimale Geschwindigkeit den Gegebenheiten angepasst), aber vor allem die Philosophie des Sports („Siegen um jeden Preis“ versus „ankommen ist gewonnen“ mit einem möglichst fitten Pferd). Letzteres hat leider auch bei uns „gelitten“, denn seit die FEI den Distanzsport als „Rennen gegen die Uhr“ definiert hat, ist die „Horsemanship“ dabei ins Hintertreffen geraten.
Wie sehr die Geschehnisse bei diesen „Wüstenrennen“ die Distanzwelt bewegt, wurde auch durch die hochkarätigen Teilnehmer deutlich: Jean-Paul Boudon, der Organisator von Florac, Frankreich, verkündete, dass Florac sich für die Weltmeisterschaften 2020 bewerben wird, wobei künftig die Wegführung wieder auf die alte Strecke zurückverlegt wird, die technisch anspruchsvoller war. Diese wurde 2011 für das Europa-Championat „schneller“ gemacht. Boudon erklärte, dass nach seinen Erfahrungen Pferde, die länger als 10 min. im Vetgate zur Erholung brauchen, dieses zwar noch passieren, dann aber gehäuft am nächsten Vetgate durch Lahmheit oder aus metabolischen Gründen ausscheiden. Unser Bestreben sollte es aber sein, die Verletzungsgefahr zu minimieren, daher sollten solche Pferde schon früher aus dem Rennen genommen werden, was unter den Bouthieb-Regeln der Fall ist, da hier die Pferde an allen Vetgates innerhalb von 10 Minuten den Tierärzten vorgeführt werden müssen. Boudon will wieder zum alten „Spirit“ zurück: Finish is to Win – ankommen ist gewonnen.

Fürsprecher aus aller Welt

Prinzessin Alia Al Hussein von Jordanien war angereist, die ja bekanntlich sehr engagiert im Tierschutz ist und so hat es nicht überrascht, als sie ankündigte, auch in ihrem Land die Bouthieb-Regeln einführen zu wollen. Auch Christele Derosch aus Frankreich, Organisatorin des „Persik-Trail“ hatte letztes Jahr bereits Ihren Ritt nach Bouthieb-Regeln organisiert, und wird natürlich weitermachen.
Leonard Liesens aus Belgien, derzeit Coach des schwedischen Teams, war unter den Rednern. Als erfahrener und passionierter Distanzreiter – er nahm an vier Welt-Championaten, zwei Europa-Championaten, drei Pan American Championships, und vielen anderen internationalen Ritten teil – ist er entsetzt über die Geschehnisse in Dubai und schlägt eine ganz radikale Wende vor: Ein Pferd, ein Reiter – sonst nichts, auch keine Crew. Ihn stört, dass das Trossen mitunter wichtiger als das Pferd wurde, der Reiter mehr auf den Trainer, als auf sein Pferd hört, und kaum mehr in der Lage ist, den Weg zu „lesen“, und sich diesem anzupassen. Diese Ritte gibt es tatsächlich und werden in den USA „Cavalry Rides“ genannt; sie machen etwa 15 % aus. Er wies darauf hin, dass die Geschwindigkeit auch in Europa ständig zunimmt. Beispiel Samorin: In 2014 – 20.6km/h; 2015 – 22.6km/h; 2016 – 23.6km/h.
Auch aus Deutschland waren zwei Teilnehmer angereist, Ahmed Al Samarraie, der letztes Jahr in Marbach den ersten CEI mit dem „Best Endurance Challenge Award“ nach Bouthieb-Regeln veranstaltet hat, und Sybille Maerkert-Baumer, die im April 2017 einen nationalen Ritt über 60 km nach Bouthieb-Regeln veranstalten wird. Beide wiesen auf das schlechte Image des Distanzsports in der reiterlichen – aber auch allgemeinen – Öffentlichkeit hin, aufgrund von Presseberichten über die Vorkommnisse im Mittleren Osten (tote Pferde, Doping). Das habe auch Auswirkungen auf den Distanzsport in Europa, da Sponsoren abspringen, und die Jugend nicht mehr für diesen Sport motiviert werden kann.
Die „Macher“ der Bouthieb-Initiative zeigten sich freudig überrascht, dass sich in so kurzer Zeit so viele bekannte Namen – auch Meg Wade, die Distanzreiter-Legende aus Australien und John Crandell, Triple Crown Winner in den USA waren dabei – für diese Reform des Distanzsports einsetzen.
Scheich Sultan jedenfalls ist entschlossen, den Distanzsport im Mittleren Osten entweder zu reformieren oder ganz damit aufzuhören: „We either fix ist, or stop it – no compromise“.
Gudrun Waiditschka
Lesen Sie dazu auch den ersten Teil: Distanzsport am Scheideweg (I) Die Distanzsport-Misere in Dubai

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