Und das Sterben geht weiter…

Vor nicht ganz einem Jahr hat IN THE FOCUS über die unhaltbaren Zustände im Distanzsport der Vereinigten Arabischen Emirate und anderen Ländern des Mittleren Ostens berichtet (“Genug ist genug!”), und leider muß man heute feststellen: Es hat sich (fast) nichts geändert, aber es ist ein dünner Silberstreif am Horizont!

Wer das Video vom Zieleinlauf des 120 km-Sheikh Zayed Al Nayhan-Cups für Junioren und Junge Reiter auf dem berühmt-berüchtigten Al Wathba Distanz-Gelände (Rennbahn wäre der richtigere Ausdruck) gesehen hat, dem trieb es – wieder einmal – die Tränen in die Augen, wie dort die Pferde auf der ca. 2,5 km langen “Zielgeraden” vorwärtsgequält wurden. Unter wild (mit Armen und Beinen!) herumfuchtelnden Reitern, immer wieder aus Erschöpfung vom Galopp in den Trab fallend, schon fast torkelnd, wurden die Pferde mit Hilfe von “grooms” der Ziellinie entgegengetrieben. Es war ein weiteres Beispiel einer widerlichen, pferdeverachtenden Perversion eines an sich schönen Sports – und wird per live-stream in die ganze Welt übertragen.

Endurance Qatar-600px

Vorausgegangene Ereignisse

Blicken wir zurück: Im Februar 2015 brach sich Splitters Creek Bundy beim Al Reef Cup beide Vorderbeine, eines von insgesamt drei Todesopfern an diesem Ritt. Das Video verbreitete sich wie ein Lauffeuer im Internet und verursachte einen weltweiten Aufschrei. Auch Dopingfälle gab es häufig in den UAE, und vertauschte Pferde. Zusätzlich konnte die Reitsport-Journalistin Pippa Cuckson nachweisen, dass der nationale Verband der UAE, die Emirates Equestrian Federation (EEF), getürkte Ergebnisse an die FEI weitergereicht hatte, womit sich Pferde und Reiter qualifizierten, die dies gar nicht verdienten. Im März 2015 wurde dann die EEF von der FEI aufgrund verschiedenster Regelverstöße und Mißachtung des Tierschutzes gesperrt. Das bedeutete, dass die EEF keine internationalen Ritte mehr veranstalten durfte und ihre (Distanz-)Reiter nicht an Ritten im Ausland teilnehmen durften. Nach vier Monaten der Verhandlungen zwischen der FEI und der EEF, wurde im Juli 2015 eine Vereinbarung getroffen, woraufhin die Suspendierung wieder aufgehoben wurde. Einer der Punkte war, dass auch nationale Ritte den FEI-Regeln folgen müssen. Im September 2015 wurden zwei FEI Offizielle, der Leiter der Veterinärabteilung und der Leiter für den Bereich Distanzreiten innerhalb der EEF, vorläufig suspendiert. Im Oktober 2015 berichtet die FEI stolz, dass rund 1400 Offizielle (Reiter, Trainer, Tross (grooms), Tierärzte, Richter, technische Delegierte und Stewards) an Fortbildungskurse in Dubai und Abu Dhabi teilgenommen hätten, als Teil des Abkommens der FEI mit der EEF – wobei “teilgenommen” nichts darüber aussagt, wieviel von dem vermittelten Wissen sie auch “aufgenommen” und “mit nach Hause genommen” haben, um es in die Tat umzusetzen… Denn diese Frage muß man sich schon stellen, wenn man bei Pippa Cuckson, die mit kritischer Feder die Ereignisse in den UAE verfolgt, liest, dass an dem eingangs erwähnten Ritt bereits der 10. Fall von “schwersten Verletzungen” (CI, Catastrophic Injury) in dieser Saison erfolgt sei. Dass die ersten drei Reiter, die die Ziellinie überquerten, wegen verbotener Hilfe von außen disqualifiziert wurden, ebenso wie zwei weitere Reiter und die entsprechenden Distanzställe mit einer Strafe von jeweils 100.000 Dirham (ca. 25.000 €) belegt wurden, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt.
Dieser letzte Ritt, vom 30. Januar hat dann die FEI doch wieder aktiv werden lassen, und sie drohte der EEF mit weiterer Suspendierung, wenn sie die Dinge nicht in den Griff bekommt. Das kommt genau 3 Monate zu spät, denn bereits der erste Ritt der neuen Saison (2015/2016) am 20. Oktober hatte eine katastrophale Ausfallsrate von über 80%, zwei weitere Ritte Anfang Dezember ebenso, allein an diesen beiden Ritten gab es drei der berüchtigten “Catastrophic Injuries” (Eine “katastrophale Verletzung” wird als eine Verletzung definiert, die nach Ansicht der Veterinärmedizinischen Kommission eine sofortige Euthanasie erfordert oder zum Tod eines Pferdes im Wettbewerb, wie auch immer verursacht, führt.). Spätestens hier hätte man von Seiten der FEI reagieren müssen.

Catastrophic Injuries - bei Ritten von 100 km und mehr seit Oktober 2015 (Saison 2015/2106)


“Catastrophic Injuries”
bei Ritten von 100 km und mehr seit Oktober 2015 (Saison 2015/2106)

Der Silberstreif am Horizont

Reagiert hat jemand anderes, und dies ist vielleicht derzeit der einzige Silberstreif am Horizont: H.H. Sheikh Sultan bin Zayed Al Nahyan hat in seinem “Endurance Village” Bouthieb in Abu Dhabi im Alleingang neue Regeln implementiert, die offensichtlich Wirkung zeigen. So wird bei “seinen” Ritten das Pferd mit der besten Kondition belohnt, die Höchstgeschwindigkeit auf 20 km/h festgesetzt (und mittels GPS kontrolliert), Crewing Points gibt es alle 1 km, dort können die Pferde getränkt werden, und crewing ist auch nur dort erlaubt; der letzte Crewing Point ist 2,5 km vor der Ziellinie. Es ist nur ein Auto pro Trainer und fünf Pferden zugelassen. Der Puls darf höchsten 56 bpm betragen an allen Vetgates, und ein obligatorischer Hyposensibilitätstest an den Beinen wird durchgeführt. Das Endergebnis wird während des Rittes fortschreitend aufaddiert und auf Basis der Konditionswerte eines jeden Pferdes errechnet.
Die Ritte in Bouthieb sind noch immer unter FEI und die Ergebnisse von der FEI anerkannt, aber der offizielle Gewinner, der am schnellsten das Ziel erreicht, erhält nur 30 % des Preisgeldes, 70 % gehen an die, die den Regeln von Sheikh Sultan entsprechend reiten – und diese haben das Wohl des Pferdes als höchste Priorität.
Diese Regeln wurden mittlerweile (Stand Ende Januar) an drei Veranstaltungen mit insgesamt acht Ritten und 1077 Pferden getestet. Das Ergebnis: nur fünf Pferde mußten tierärztlich in der Klinik versorgt werden, aber weder ihr Leben noch ihre Zukunft im Sport waren in Gefahr und sie hatten die Klinik am Nachmittag bereits wieder verlassen. Vergleicht man dies mit den bis zu zehn Todesfälle an den anderen Ritten, so ist das Ergebnis klar.
Nachdem nun andere die Arbeit gemacht haben, springt auch die FEI auf den fahrenden Zug auf. FEI Endurance Direktor Manuel Bandeira de Mello erklärte: “Es ist mehr als deutlich, dass die Geschwindigkeit ein Hauptfaktor für diese Vorfälle ist und dass es nötig ist, Maßnahmen zu ergreifen, um die Geschwindigkeit der Pferde zu reduzieren und damit auch die Zahl der schweren Verletzungen zu verringern. Die FEI ist in dringlichen Gesprächen mit der Emirates Equestrian Federation (EEF) und einzelnen Veranstaltern, um ähnliche Regeln einzuführen, die die Geschwindigkeit reduzieren, und die so erfolgreich an den jüngsten Veranstaltungen in Bouthieb benutzt wurden.” Die FEI hat der EEF bis zum 11. Februar Zeit gegeben, die Angelegenheit in den Griff zu bekommen. Die Ritte bis 11. Februar wurden ohne Angabe von Gründen auf unbekannte Zeit “verschoben”. Allerdings betrifft dies wohl nicht den am 13. Februar stattfindenden President’s Cup.
Über einen Punkt hat sich die FEI aber noch nicht geäußert: Werden die Weltmeisterschaften im Dezember 2016 tatsächlich in den UAE stattfinden? Im Kalender steht es noch so geschrieben. Aber dagegen regt sich allerortens Widerstand. So hat die American Endurance Ride Conference (AERC) als Mitglied der amerikanischen FN (USEF) dieser vorgeschlagen, dass keine amerikanischen Reiter zu dieser Weltmeisterschaft entsandt werden sollen. Auch in Ländern wie den Niederlanden, Großbritannien und der Schweiz regt sich Unmut. Eine Petition bei Change.org wurde ins Leben gerufen “SAY NO! TO 2016 WORLD ENDURANCE CHAMPIONSHIPS IN DUBAI”, worin gefordert wird, dass die Weltmeisterschaften im Dezember 2016, nicht in Dubai abgehalten werden, sondern an ein Land vergeben werden, das die Werte der “Clean Endurance” hochhält.

Ausblick

Ob sich die neuen, geschwindigkeitsreduzierenden Regeln durchsetzen werden, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Nicht zuletzt von der FEI, die mit den Weltmeisterschaften ein gutes Druckmittel in der Hand hat, das es gilt, richtig einzusetzen. Einen ersten Hinweis, in welche Richtung dieses Drama sich weiterentwicklen wird, wird der für den 13. Februar geplante prestigeträchtige Presidents Cup darstellen. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Gudrun Waiditschka