Höher, schneller, weiter?

Kommentar

zu den Weltmeisterschaften Distanz 2016
Nun ist er also passiert, der Super-GAU für den Distanzsport. Da holte die FEI die Weltmeisterschaften von den UAE weg, nach Europa, um das Wohlergehen der Pferde sicherzustellen, und dann sahen wir Bilder wie die von Nopoli del Ma, wie er sich ins Ziel quält, wie er kaum noch laufen kann beim Vortraben – und wie er dann zum Glück (!) disqualifiziert wurde. Wenn die ersten drei Pferde, die das Ziel erreichen, wegen Lahmheit oder aus metabolischen Gründen disqualifiziert werden müssen, wenn ein Pferd mit gebrochenem Bein – vermutlich aufgrund eines Ermüdungsbruchs – auf der Strecke stirbt, dann ist das kein Ruhmesblatt für diesen Sport.
Schuld an der Misere sind in erster Linie die Akteure, die um des Sieges Willen dopen und ihre Pferde überfordern, also die Besitzer, Trainer, Reiter. Mitschuld sind aber auch all diejenigen, die viel zu lange bei Regelverstößen weggesehen haben und die gewisse Eigeninteressen mit diesem Sport verbinden.
Man verstehe mich bitte nicht falsch: Für mich steht nicht der Sport als solches am Pranger, auch nicht eine einzelne Nation, sondern eine falsche Grundeinstellung dem Partner Pferd gegenüber. Hier stellen einige Leute ihre finanziellen Interessen oder ihr Ego über die (gesundheitlichen) Interessen des Pferdes, indem sie es über seine Leistungsgrenzen hinaus fordern – und sei es mit unlauteren Mitteln. Dies belegen die Dopingfälle: Die FEI hatte allein 2016 bislang 38 Dopingfälle zu bearbeiten, davon 20 aus dem Distanzsport. Diese falsche Grundeinstellung dem Pferd gegenüber gilt es “auszurotten”.
Mit der Verlegung der Weltmeisterschaft dachte man, den Pferden etwas Gutes zu tun. Aber auch hierzulande laden lange, gerade, topfebene Strecken zum Rennen ein – und Durchschnittsgeschwindigkeiten von 30 – 34 km/h auf den letzten 20 km des Rittes sprechen ihre eigene Sprache.
Was spricht dagegen, sich auch im Hochleistungssport auf die alten Tugenden des Distanzreitens zurückzubesinnen, wo das partnerschaftliche Verhältnis mit dem Pferd, und das Motto “angekommen ist gewonnen” zählt. Wo ein fittes Pferd wichtiger ist, als das schnellste. Nur weil andere Sportarten von “höher, schneller, weiter” leben, muß das nicht zwangsläufig auch für den Distanzsport gelten. Denn ob ein Athlet sich selbst schindet, im Zweifelsfalle auch dopt, oder nicht, ist ihm selbst überlassen. Das Pferd aber kann nicht für sich selbst entscheiden.
Sicher, es braucht einen Umdenkungsprozess, einen Paradigmenwechsel. Weg von “der Schnellste ist der Sieger” hin zu “der Fitteste ist der Sieger”. In vielen Ländern – und dazu zählt auch Deutschland, Österreich, die Schweiz – wird das Distanzpferd als Partner betrachtet, ist häufig Familienmitglied, und geht jahrelang in diesem Sport – auch auf höchstem Niveau – ohne Schaden zu nehmen. Genau diesen Weg wollen die Bouthieb-Regeln aufzeigen. Ob diese genau so bestehen bleiben, wie wir sie im letzten Heft vorgestellt haben, oder ob sich hier aufgrund von Erfahrungswerten, die aus aller Welt eintreffen, Veränderungen ergeben werden, wird die Zukunft zeigen. Daher sollte man sie in dieser Phase nicht aufgrund von Details in Bausch und Bogen ablehnen. Ob also ein Puls von 56 bpm, oder eine “Geschwindigkeitsbegrenzung” auf 20 km/h unter allen Rittbedingungen das Ideal ist, muß sich zeigen. Es geht hier ums Prinzip. Das Grundprinzip, ein fittes Pferd ins Ziel zu reiten muß wieder zurück in diesen Sport finden. Und wenn einige Reiter (Trainer, Besitzer) nicht fähig sind, dies zu erkennen, so muss man sie durch Regeln dazu zwingen.
Gerade die Länder, in denen das Pferd als Partner betrachtet wird, sollten die Bouthieb-Regeln in Anwendung bringen. Die Deutsche Meisterschaft 2016 machte den Anfang und wurde (zusätzlich zum FEI-Reglement) auch unter Bouthieb-Regeln ausgetragen und siehe da: es machte kaum einen Unterschied in der Rangfolge, weil alle Reiter aufgrund der topographischen Gegebenheiten “sowieso” verantwortungsbewußt geritten sind. Wichtig wäre es aber, dass sich auch andere Veranstalter dieser Idee anschließen und somit die Datengrundlage vergrößern. Je mehr Ritte unter den unterschiedlichsten Bedingungen (Klima, Jahreszeit, Topographie) abgehalten werden, desto besser kann man die Regeln “feintunen”.
Derzeit sind für mich die Bouthieb-Regeln der einzige Silberstreif am Horizont. Weitere tote oder völlig überforderte Pferde sind das letzte, was dieser Sport braucht.
Gudrun Waiditschka