Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde aus den Wüstenarabern durch gekonnte Zuchtselektion unter Verwendung besonderer Stutenstämme eine neue Kulturrasse geschaffen – den Shagya-Araber. Diese gilt es durch ein Reinzuchtprogramm zu erhalten.
Die Erhaltung der Reinzucht des Shagya-Arabers auf hohem Niveau ist oberstes Gebot. Dabei ist seiner besonderen praktischen Eignung als ausdauerndes, anspruchsloses Reitpferd mit exquisiter Balance und besonderer Zuneigung zum Menschen entscheidende Bedeutung beizumessen. Nur diese allein macht seine Eigenständigkeit gegenüber anderen Pferderassen aus und ist heute mehr denn je zu beachten, wenn der Shagya-Araber wirtschaftliche Chancen haben soll. Das gilt unabhängig von seinem Standort und macht eine Zersplitterung der Rasse nach Regionen überflüssig. Auch für alle orientalischen Rassen, die stark vom arabischen Vollblutpferd beeinflusst werden (zum Beispiel Shagya-Araber) oder unter ähnlichen Bedingungen im Laufe der Jahrhunderte oder Jahrtausende als selbständige Population entstanden sind, gelten die diesbezüglichen Vorzüge weitgehend. Deswegen ist ihre Erhaltung auch in Zukunft äußerst wichtig.
Reinzucht beim Shagya-Araber
Blutauffrischungen gehören zur Reinzucht, wenn die Merkmalsvariation auf hohem Niveau erweitert oder bestimmte Merkmale/Eigenschaften gestärkt werden sollen. Sie erfolgt in der Regel durch Hengste der gleichen Rasse oder Rassengruppe, die vor allem aufgrund der gegenüber Stuten größeren Verbreitungsmöglichkeiten wirksam werden. Als Beispiel kann man den traditionellen Import von Beduinenhengsten für die arabischen Vollblutzuchten außerhalb der Arabischen Halbinsel nennen. Für die Shagya-Araberzucht gibt es die Festlegung im internationalen Zuchtprogramm für ein genetisches Gleichgewicht zwischen den Stutenfamilien und Hengststämmen der ursprünglichen k. k. Araberrasse einerseits und dem Arabischen Vollblut andererseits: Von 16 Vorfahren (vierte Generation) dürfen maximal neun Vorfahren arabische Vollblüter sein. Nur durch die Kombination von optimalen Umweltbedingungen (Aufzucht, Stall, Ernährung usw.) einschließlich der Reit- und/oder Fahrleistungen sowie den in vielen Jahrhunderten geschaffenen hervorragenden genetischen Voraussetzungen werden Größe, Beweglichkeit, Gewandtheit, Ausdauer, Zuverlässigkeit so-wie nicht zuletzt auch Schönheit und Anmut des Shagya-Arabers erhalten und gefördert. Wenn man die für uns überschaubare und mit Gemälden, Zeichnungen oder Fotos belegten Zeiträume betrachtet (einige von ihnen sind diesem Beitrag beigefügt) bestätigt sich, dass sich aus den oben genannten Gründen die äußeren Merkmale sowie die inneren Eigenschaften des Vollblututarabers im Bereich der Hochzuchtgebiete kaum verändert haben. Ein Gestaltwandel ist nicht eingetreten. Balance sowie Gangvermögen einschließlich des kraftvollen Antritts sind im Wesentlichen so wie im 18. Jahrhundert. Lediglich die Kopfform hat sich vom bis dahin meist geraden Profil vor allem bei Hengsten zum konkaven Nasenrücken hin entwickelt. Die Beduinen hatten bei Verkäufen das europäische Interesse an dieser Besonderheit erkannt und den Aufkäufern zu Beginn der 19. Jahrhunderts zunehmend solche Pferde angeboten. Die in Ägypten gezogenen Pferde sind diesbezüglich optimal gestaltet. Auch das Gangvermögen wurde seit Gründung der EAO beziehungsweise des Gestütes El Zahraa 1898 allmählich mehr „europäisiert“, was beispielsweise die Qualität der Trabbewegungen (Takt, Raumgriff usw.) anbelangt. Unabhängig davon verfügen aber alle Araber über das erwünschte wertvolle genetische Potential, das sich auf jahrtausendelange Zuchtarbeit gründet. Mit den islamischen Eroberungen vor über 1400 Jahren hatte auch die arabische Wissenschaft in den zahlreichen besetzten Gebieten diese Entwicklung umfangreich begünstigt. Dabei erweiterte sich zugleich auch die praktische arabische Pferdezucht. Allein im Gebiet des Nahen und Mittleren Ostens erschienen zwischen 785 und dem 15. Jahrhundert zahlreiche Standardwerke zur Züchtung, Anatomie, Physiologie, zum Verhalten und zur Haltung des Pferdes. Aus ihnen schöpften auch die europäischen Pferdezüchter noch bis ins 20. Jahrhundert hinein.
Auswirkungen auf die heutige züchterische Arbeit
Infolge der viele Jahrhunderte lang im Wesentlichen konsequent betriebenen Reinzucht gehört das Beduinenpferd zu den am besten durchgezüchteten Rassen der Erde. Deshalb sind seine Merkmale und Eigenschaften sehr stabil im genetischen Potential angelegt. Bei der Verwendung von arabischen Hengsten kann man deshalb immer davon ausgehen, dass sie ihre konstitutionellen und psychologischen Eigenschaften, Gesundheit, Langlebigkeit, Anspruchslosigkeit, Leistungsbereitschaft, Lernfähigkeit, Balance, Menschenbezogenheit usw. sowie ihre weiteren phänotypischen Merkmale auch anderen Populationen nachdrücklich vermitteln. Der Einsatz von stark «arabisierten» orientalischen Hengsten hat die Herausbildung aller Barockpferderassen, des Berbers sowie unserer modernen Warmblutrassen erst ermöglicht und zur Erhaltung ihrer Qualitätsparameter entscheidend beigetragen. So schuf der „Araber“ beispielsweise auch die genetischen Grundlagen für das englische Vollblutpferd, das sich durch die konsequente Auslese auf Rennleistung in den letzten 200 Jahren zu einer eigenen Leistungsrasse entwickelt hat und dadurch für die Verbesserung der Reitpferderassen zu unersetzlicher Bedeutung gekommen ist.
Veredlerhengste nur von höchster Qualität
Für den Einsatz arabischer Hengste außerhalb der Reinzucht gelten die biologischen Prinzipien der Kreuzungen, wobei abhängig von ihrer Zielsetzung in der pferdezüchterischen Praxis fast nur Veredlungs- und Kombinationskreuzungen zur Blutauffrischung angewandt werden. Es ist immer anzuraten, dass der einschlägige Zuchtverband hierzu genaue Verbindlichkeiten festlegt, wie es beispielsweise durch die Internationale Shagya-Araber Gesellschaft für ihren Bereich geschehen ist. Auch die Begrenzung bestimmter Anteile des Vollblutarabers wie beispielsweise beim Shagya-Araber können dazu gehören. Von großer Bedeutung ist aber immer die genetische Ausgangsposition der verwendeten Stuten, weshalb den Stutenfamilien fundamentale Bedeutung zukommt. Sie sind das bewahrende Element jeder Rasse, während die dabei verwendeten Hengste die revolutionierende Aufgabe wahrnehmen. Damit jedoch die gewünschte Wirkung, also die Verbesserung der jeweiligen Population, erfolgen kann, ist bei ihrer Auswahl und ihrem Einsatz ganz besonders sorgfältig vorzugehen – seelensgut, aber seelensstreng. Das allgemein hohe phänotypische Niveau (Genetik und Umwelt) in der Shagya-Araberzucht macht diese Aufgabe also besonders schwierig, denn schon sehr Gutes noch besser zu machen, erfordert, wie überall, höchste individuelle Qualität. Das gilt natürlich auch für Hengste gleicher
Rasse, die den Standard halten sollten. Nur derjenige Züchter, der das akzeptiert und danach handelt, kann Fortschritte in einer über 200 Jahre alten, davon mehr als ein Jahrhundert als Hochzucht ausgewiesenen Rasse erreichen.
Bruno Furrer