Seit 2019 wird gerätselt, wann denn nun die Pferde aus Ägypten im Haupt- und Landgestüt Marbach eintreffen werden. Nun war es soweit: Am 19. April kamen die neun Pferde aus dem Gestüt Paraskevas Arabians in Marbach an, gestern wurden sie bei einem Pressetermin der Öffentlichkeit vorgestellt. Wann sie aber von den Besuchern in den Ställen und Weiden bewundert werden können, hängt nicht zuletzt von der Corona-Lage ab.
Die Kooperation zwischen Philippe Paraskevas aus Ägypten und dem Haupt- und Landgestüt Marbach auf der Alb hatte sich über mehrere Jahre angebahnt. Seit Paraskevas auf einer Deutschlandtour, auf der er seine Buch „Die Ägyptische Alternative“ vorstellte, auch in Marbach vorbeischaute, ist er ein großer Fan dieser Einrichtung, die sich auch dem Erhalt des Erbes von König Wilhelm I. verschrieben hat. Genau diese Tatsache, dass hier Stuten- und Hengstlinien seit über 200 Jahre gepflegt erhalten werden, hat ihn überzeugt, dass Marbach der richtige Platz auch für seine Pferde sei. Im Februar 2019 flog dann Landoberstallmeisterin Astrid von Velsen-Zerweck zusammen mit dem (damaligen) Interims-Zuchtleiter des VZAP, Burchard Schröder nach Ägypten. Neben einem Besuch im Staatsgestüt El Zahraa stand auch ein Besuch bei Philippe Paraskevas auf dem Plan, wo man eine erste grobe Auswahl treffen konnte. Astrid von Velsen hat auch den einen oder anderen Hengst in der Wüste geritten, und war von deren Ausdauer und Reiteignung sehr angetan.
Auf Besichtigungstour in Ägypten
Nun wurden die Pläne konkreter. Anläßlich der Hengstparade im September 2019 verkündete der Minister für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, Peter Hauk, dass er zusammen mit der Landoberstallmeisterin im November nach Ägypten reisen werde, um sich nach geeigneten Araberhengsten umzuschauen. Im November 2019, zur internationalen Araberschau im Staatsgestüt El Zahraa, reiste dann tatsächlich eine Delegation aus dem Schwabenland nach Ägypten. Hauptanlaß aber war natürlich ein (weiterer) Besuch bei Paraskevas Arabians, um die Pferde konkret auszuwählen. Es sollte nun Corona-bedingt weitere eineinhalb Jahre dauern, bis die Pferde tatsächlich ihre Reise antreten konnten – aber seit dem 19. April sind sie im Gestüt angekommen. Zumindest „physisch“, denn für die überwiegend jungen Pferde, die bislang nur Sand und Wüste kannten, ist die Ankunft in Deutschland ein Kulturschock, und bietet die neue Heimat auf der Schwäbischen Alb eine unglaubliche Fülle von neuen Eindrücken! „Sie müssen erst noch lernen, dass man Gras direkt vom Boden fressen kann, und dass man auch darauf laufen kann, nicht nur auf Sand. Selbst Asphalt kennen sie nicht, sie laufen wie auf Eiern, denn in ihrem Heimatgestüt ist alles Sand“, erklärt die Landoberstallmeisterin. Minister Hauk erläuterte ganz plastisch: „Wenn man das Tor des Gestüts öffnet, fängt dort direkt die Wüste an! Diese Pferde kennen nur Sand.“
„Wir wollen den Pferden jetzt erst noch eine Weile Zeit zum Eingewöhnen geben. Sie mußten vor ihrem Abflug drei Monate in Quarantäne verbringen, in einer Militärkaserne, mitten Kairo. Dort hatten sie kaum die Möglichkeit, sich zu bewegen. Daher müssen wir ihre Kondition erst wieder langsam aufbauen“, erklärt Astrid von Velsen, und erläutert weiter: „Außerdem stehen sie auch hier sicherheitshalber noch in Quarantäne, weshalb sie dem Publikum noch nicht zugänglich sind“.
Insgesamt hat Philippe Paraskevas dem Gestüt neun Pferde – fünf Hengste und vier Stuten – übergeben, „zu einem symbolischen Preis“, wie Minister Hauk es ausdrückte. Philippe Paraskevas verbindet mit diesem Vermächtnis die Hoffnung, dass seine züchterische Arbeit der letzten 30 Jahre hier fortgeführt wird, denn leider haben seine Kinder kein großes Interesse an der Pferdezucht und reduziert daher seinen Bestand – es ist dies hier wie dort ein Problem der Privatzüchter. Deshalb sind Staatsgestüte, als Garant für Kontinuität, auch so wichtig. Philippe Paraskevas schreibt in seiner Grußbotschaft, da er selbst Corona-bedingt nicht nach Deutschland kommen konnte: „Der ägyptische Vollblutaraber ist ein anerkanntes Kulturerbe Ägyptens und unser Vermächtnis aus der arabischen Wüste. Die E.A.O., unser Staatsgestüt, ist der Ursprung der Rasse und reinster Quell arabischen Blutes weltweit. Außerhalb Ägyptens, im Herzen Europas, ist das Haupt- und Landgestüt Marbach der älteste und beste Zufluchtsort des Wüstenarabers. Aufgrund seiner reichen Historie, seiner Mission und Zuchtphilosophie gebührt Marbach höchste Anerkennung. Es ist mir eine Ehre, diese neun Pferde aus der Paraskevas-Zucht an das Haupt- und Landgestüt Marbach zu übergeben, in Einklang mit meinem Ziel, die mir anvertrauten Blutlinien langfristig zu bewahren“.
Übrigens steht das Land Baden-Württemberg nach wie vor hinter dem Ende 2019 verkündeten Massnahmenpaket für Marbach über 40 Millionen Euro, mit dem die Instandsetzung und Sanierung der Gebäude, viele davon denkmalgeschützt, ermöglicht werden soll. Damit können auch diverse Umbauten und Neubauten realisiert werden, um die Pferdehaltung auf den neuesten Stand zu bringen. Diese Vorhaben werden sich vielleicht aufgrund der pandemie-bedingt angespannten Haushaltslage zeitlich in die Länge ziehen, aber „wir stehen voll dahinter, schließlich geht es hier um Tierschutz und Tierwohl“, so der Minister. Und um auch die letzten Unklarheiten zu beseitigen – nein, die 40 Millionen haben rein gar nichts mit den neuen Pferden aus Ägyptern zu tun!
Die „neuen Ägypter“
Und wer sind nun die „neuen Ägypter“, und was macht sie so besonders? Der Star der Gruppe ist der 11-jährige Nasheed Al Amal Hoor (Hafez Al Ahd Hoor / Aneedah) *2010. Der Schimmelhengst gehört väterlicherseits der Hengstlinie Jamil El Kebir über Anter an. Auch der Rapphengst Gharib, der 1970 durch die Initiative des damaligen Landoberstallmeisters Dr. Wenzler nach Marbach kam, gehörte dieser – heute selten gewordenen Linie – an. Nasheed ist ein Enkel von Ghallab El Ateyah, dem wichtigsten Beschäler bei Paraskevas Arabians – auf diesen Hengst ist seine Zucht aufgebaut. Nasheeds Mutter Aneeda stammt von Rashdan, einem Hengst aus El Zahraa. Mütterlicherseits geht Nasheed auf die Saklawi-Gidran-Stute Roga El Beida zurück, über die legendäre Moniet El Nefous. Nasheed ist ein würdiger Hauptbeschäler, der auch bereits fünf Fohlen im Gestüt Paraskevas vorweisen kann. Er ist trocken in der Erscheinung, mit kräftigem Exterieur und starken Gelenken – ganz anders als die von „Dish“ und Feinheit geprägten Araber aus anderen Linien. Aber er ist dennoch sehr ausdrucksstark, maskulin und souverän, d.h. ein Hengst auf den ersten Blick, eine Eigenschaft die manchem Schaupferd verloren gegangen ist. Philippe Paraskevas ist übrigens dafür bekannt, dass er seinen Pferden bedeutungsvolle, poetische Namen gibt, und so lautet die Übersetzung von Nasheed Al Amal „The Poem of Hope“ oder „Das Gedicht der Hoffnung“.
An zweiter Stelle ist Tag Al Ola Hoor (Shaer Al Nil Hoor / Kawkab Al Shark Hoor) *2016 zu nennen, ebenfalls Schimmel. Auch er entstammt der Jamil-El-Kebir-Hengstlinie, denn Ghallab El Ateya ist sein väterlicher Urgroßvater. Er ist fünfjährig und noch nicht ausgereift. Er hat ein athletisches Exterieur, wenngleich man sich seinen Hals etwas eleganter wünschen würde. Seine Mutter Kawkab Al Shark ist eine Vollschwester zu Zay El Hawa, dem Vater von Day El Kamar, dem dritten im Bunde der Neuzugänge. Kawkab geht ebenfalls auf die Mutterlinie Roga El Beide über Moniet El Nefous zurück. Sein Name bedeutet „The Crown of Achievements“ oder „Die Krone der Erfolge“.
Day Al Kamar (Zay El Hawa / Gebeen Al Kamar Hoor) *2016 gehört der in Deutschland ausgestorbenen Hengstlinie El Deree an, die auch in Ägypten recht selten ist. Er zeichnet sich durch längere Linien aus, hochgewachsen und elegant, aber noch sehr jugendlich – Ägypter sind eben sehr spätreif. Seine Mutter Gebeen Al Kamar gehört dem Kuhaylan-Krush-Stamm an, der ansonsten in Deutschland nicht vorhanden ist. Alle drei genannten Hengste haben auch die Stute Aneedah (v. Rashdan) im Pedigree, entweder als Mutter oder Großmutter. Sein Name bedeutet „Moonlight“ / „Mondlicht“.
Kaf Al Kadar Hoor (Ashham / Robaeyat El Khayaam Hoor) *2017 ist der vierte im Bunde und ein Vertreter der Saklawi I-Linie. Sein Vater ist Ashham, ein Fuchshengst mit bildschönem Gesicht, den Paraskevas von El Zahraa gekauft hat. Dessen Vater ist Halim El Zahraa von Gad Allah – alles Pferde von Rang und Namen im ägyptischen Staatsgestüt. Auch dieser Dunkelschimmel ist noch reichlich unreif, verfügt aber über ein sehr schönes, ruhiges Auge bei geradem Profil, und wirkt insgesamt kräftig mit guten Gelenken. Er gehört der Stutenlinie Rodania an, und ist damit ein Koheilan Rodan. Sein Name bedeutet „The full Force of Destiny“ oder „Die ganze Kraft des Schicksals“.
Der einzige „Nicht-Schimmel“ der Gruppe ist Lesa Faker Hoor (Agad x Leilat Al Eid Hoor) *2017. Auch er entstammt der Hengstlinie Saklawi I, denn sein Vater Agad ist ein Sohn des viel zu früh gestorbenen Tagweed aus El Zahraa. Dieser wiederum entsprang der Traumanpaarung Gad Allah x Tee. Lesa Faker’s Mutter Leilat Al Eid Hoor ist eine Tochter des Hauptbeschälers Ghallab El Ateyah und eine der schönsten Stuten im Gestüt Paraskevas: Typvoll, mit schöner Halsung, breit in der Brust, tief im Rumpf, ganz wie es sich für eine Zuchtstute gehört. Aufgrund dieser Herkunft kann man noch hoffen, dass Lesa Faker Hoor noch etwas „auslegt“, bislang ist er eher zierlich und (zu) fein. Mütterlicherseits geht er auf die Gründerstute El Obeya Om Grees zurück und gehört damit dem Stamm Obeyan an. Sein Name lautet übersetzt „He who still remembers the Past“ oder „Er, der sich noch an die Vergangenheit erinnert“.
Kommen wir zu den Stuten. Die älteste ist Set El Kol Hoor (Agad / Al Set Hoor) *2017, eine Schimmelstute, die noch nicht ganz „angekommen“ zu sein scheint, so dass man sie noch nicht beurteilen kann. Sie ist gedeckt von Paraskevas’ Hauptbeschäler, dem Hengst Ghallab El Ateyah – und hoffentlich auch tragend. Ihre Mutter Al Set Hoor ist kräftig, dynamisch, eine Stute die man satteln und reiten möchte – wie man sich eben eine Kriegsstute vorstellt. Set El Kol entstammt einer Kombination der Saklawi-I-Hengstlinie mit dem Saklawi-Gidran-Stamm der Roga El Beida. Ihr Name bedeutet „The Matriarch“ / „Die Matriarchin“.
Die drei anderen Stuten sind erst zwei- und dreijährig. Es sind dies die beiden Agad-Töchter Shahd Al Radab Hoor (a.d. Naghamet Al Karawan Hoor) *2018 und Zahret El Eid Hoor (a.d. Leilat Al Eid Hoor) *2018. Beide entstammen somit der Saklawi-I-Hengstlinie, wobei Zahret El Eid dank ihre Mutter Leilat El Eid eine Vollschwester zu dem oben erwähnten Lesa Faker ist, und damit eine Obeyan. Die Rappschimmelstute ist ausgesprochen typvoll und steht ganz im Saklawi-Typ. Ihre Halbschwester Shahd Al Radab gehört dem seltenen Kuhaylan Krush-Stamm an, der in Deutschland wohl nur durch diese Paraskevas-Pferde vertreten ist. Der Name Shahd Al Radab bedeutet „Sweetness of a Kiss“ / „Die Süße eines Kusses“, während Zahret El Eid „Flower“ oder „Blossom of Eid“ / „Blume“ oder „Blüte von Eid“ bedeutet (Eid ist das islamische Opferfest).
Die jüngste im Bunde ist Saherat Alehwerar Hoor (Ashham x Robaeyat Al Khayyam Hoor) *2019, eine Vollschwester zum oben genannten Kaf Al Kadar Hoor. Ihr Name bedeutet „The one with the Enchanting Gaze“ / „Die mit dem bezaubernden Blick“ und sie wird sicherlich ihrem Namen alle Ehre machen, wenn sie einmal ausgewachsen ist.
Blutauffrischung für Marbach
Mit diesem Import steht nach rund 50 Jahren wieder eine Blutauffrischung für die Marbacher Araberzucht zur Verfügung, d.h. Blutlinien, die eben keine hohe Inzucht auf Nazeer aufweisen und anderen Hengstlinien entspringen. Denn insbesondere mit Nasheed, Tag El Ola und Day El Kamar stehen Hengste aus den eher seltenen Hengstlinien Jamil El Kebir und El Deree zur Verfügung, die einem Outcross nahe kommen. Das könnte wirklich zu einem genetischen Heterosiseffekt führen. Für dieses Jahr ist geplant, dass Nasheed und Tag El Ola in der Hauptgestütsherde eingesetzt werden. Nächstes Jahr stehen sie voraussichtlich auch Fremdstuten zur Verfügung, wenn die Züchter die ersten Fohlen in Marbach sehen können.
Und wie schrieb Philippe Paraskevas so schön in seiner Grußansprache: „In der Gewissheit, dass dieses kostbare Erbe hier in Marbach eine langfristige Zukunft findet, überlasse ich sie den fähigen Händen der engagierten Männer und Frauen von Marbach; den Menschen, die nun zur Familie gehören.“ Möge die Saat auf fruchtbaren Boden fallen.
Gudrun Waiditschka
Weitere Informationen zu der Zucht von Philippe Paraskevas in Ägypten finden Sie in unserer Zeitschrift “Arabische Pferde IN THE FOCUS” Ausgabe 4/2020
Die Pedigrees zu diesen Pferden finden Sie auf Sporthorse-data.com:
https://sporthorse-data.com/pedigree/zahret-el-eid
https://sporthorse-data.com/pedigree/sit-el-kol
https://sporthorse-data.com/pedigree/shahd-el-radab
https://sporthorse-data.com/pedigree/saherat-el-ihwerar
https://sporthorse-data.com/pedigree/nasheed-el-amal
https://sporthorse-data.com/pedigree/kaff-el-kader
https://sporthorse-data.com/pedigree/day-el-kamar