Altbewährtes statt Modetrends

Editorial 4/2022

Kürzlich habe ich ein Interview mit der Fachtierärztin für Pferde Katharina Ros angehört, die sich Gedanken zur Gesundheit und Brauchbarkeit der Warmblüter machte. Vieles was sie sagte, kann man auch auf das arabische Pferd übertragen. Sie sagt nämlich, dass die „Haltbarkeit“, also die Reittauglichkeit bis ins Alter, kaum mehr gegeben ist. Als Gründe führt sie an, dass die Pferde langbeiniger und schmaler in der Brust geworden sind, überbeweglich, schöner und gefälliger. Einhergehend mit diesen äußeren Veränderungen ging sie auch auf die damit zusammenhängenden neurologischen Probleme ein: Die Pferde sind häufig ataktisch, haben Koordinationsstörungen, stolpern und stürzen ohne Grund. Für Reiter lebensgefährlich. Sie glaubt, dass die Ursache dafür unter anderem in diversen Erbkrankheiten liegen würde.
Das alles kommt einem als Liebhaber arabischer Pferde irgendwie bekannt vor! Auch arabische (Show-)Pferde sind langbeiniger und schmaler geworden, und mit weniger Gurtentiefe ausgestattet. Dazu kommt, dass die angestrebte Langbeinigkeit in erster Linie auf längere Röhren zurückzuführen ist, die dementsprechend häufig auch dünner – und anfälliger – werden. Und auch beim Araber kennen wir Erbkrankheiten – wenngleich andere als in der Warmblutzucht –, die sich auf die Bewegung auswirken wie beispielsweise OAAM und CA.
Nun ist unsere Pferdezucht ganz allgemein immer schnelllebiger geworden: Pferde müssen jung vermarktet werden, damit sie schnell wieder Geld einbringen. Das führt zu einer Verkürzung des Generationsintervalls, denn wo das Zuchtziel rasch voranschreitet oder sich modebedingt verändert, muß ein junger Hengst her, der den neuen Kriterien entspricht, weil der „alte“ ist ja bereits „außer Mode“ oder vom Zuchtziel überholt. Wo aber das Generationsintervall immer kürzer wird, werden die Tiere gar nicht mehr richtig auf ihre Gebrauchsfähigkeit hin getestet, und es stellen sich Probleme erst heraus, wenn schon die nächste Generation – die Söhne, mit ganz ähnlichen Anlagen – bereits am Zuge sind.
Auch die Araberzucht bringt neben wenigen hochspezialisierten Superstars auch eine breite Masse an „durchschnittlichen“ Pferden hervor. Ob wir wollen oder nicht, für diese ist der Freizeitreiter im weitesten Sinne der Hauptabnehmer. Ob nun die (jungen) Pferde verschenkt, billig abgegeben oder kostendeckend verkauft werden – die Pferde sollten zumindest grundlegende Ansprüche an Haltbarkeit, Rittigkeit und Charakter erfüllen, damit der Freizeitreiter Freude an ihnen hat. Wie aber kann man das gewährleisten? Statt auf junge Mode-Hengste zu setzen, die gerade Marketing-mäßig gehypt werden, wäre es sinnvoller auf ältere, bereits bewährte Hengste zu setzen, die ihre Gesundheit im Sport und unter dem (Freizeit-)Sattel über mehrere Jahre hinweg bewiesen haben, denn ein Hengst, der jahrelang im Sport lief oder mit Freude geritten wurde, kann kaum angeborene Koordinationsprobleme haben. Als „Nebeneffekt“ steigt durch die Verwendung von erprobten Hengsten der Gesundheitszustand der Rasse allgemein – was wiederum den Pferdebesitzer freut, dem dadurch Tierarztkosten erspart werden.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein glückliches Händchen in der Wahl des Hengstes für die anstehende Decksaison und wünsche uns allen ein friedliches und gesundes Jahr 2023.
Gudrun Waiditschka