Das Versagen einer Institution (I)

-Ein Meinungsbeitrag-

Eine Richterin tritt von ihrem Amt zurück, weil die „Schauszene“ korrupt sei, und erntet dafür Beifall aus der frustrierten Züchterschaft. Wie konnte es dazu kommen? Das Problem ist hausgemacht, und verantwortlich für den Niedergang der Schauszene in Europa
ist die ECAHO.

Wenn wir uns anschauen wollen, wie die Schauszene dahin kam, wo sie heute ist, dann müssen wir uns mit der Institution „ECAHO“ (European Conference of Arab Horse Organisations) befassen, denn diese Institution ist für das Regelwerk, das an ECAHO-Schauen zur Anwendung kommt, und für die Richterausbildung verantwortlich.
Die ECAHO ist ein Verein, dessen Mitglieder die Araberzuchtverbände europäischer und außereuropäischer Länder sind. Also der VZAP, VVÖ, SZAP und wie sie alle heißen sind stimmberechtigte Mitglieder dieser Organisation. Die Verbände senden Delegierte zur Jahreshauptversammlung und in die entsprechenden Fachgremien (Schaukommission, Sportkommission, Stutbuch-Kommission), die dort das Stimm- bzw. Wahlrecht im Sinne ihres Verbandes ausüben sollen.

Strukturelle Probleme

Und hier fängt das Problem auch schon an, denn durch wen diese Verbände ihre Mitgliedsrechte ausüben lassen und wie sie diese Delegierten ernennen, wählen oder bestimmen, ist jedem Verband (natürlich) selbst überlassen. Fragen Sie doch einmal nach, wie Ihr Verband den jeweiligen Delegierten auswählt! Sie werden feststellen, die wenigsten haben eine Regelung dafür. Vielmehr nimmt man gerne denjenigen, der sich selbst anbietet und wenn möglich auch die Reisekosten selbst übernimmt – denn derjenige ist dann für den Verband kostenlos – und sparen muß schließlich jeder!
Nun gibt es natürlich Leute, die selbstlos sind, die etwas für den Verband oder das arabische Pferd tun wollen, die Dinge in die richtige Richtung lenken wollen. Um diese Personengruppe soll es hier nicht gehen. Es soll hier um diejenigen gehen, die mit solch einem Engagement auch ein gewisses Eigeninteresse verbinden. Dieses kann vom relativ harmlosen „Networking“, also der Vernetzung mit anderen „wichtigen“ Leuten aus der Szene, bis hin zur Durchsetzung von Eigeninteressen reichen. Aber wie kann letzteres überhaupt geschehen? Ganz einfach: Zum einen instruieren die wenigsten Verbände ihre Delegierten genau, wie sie für jeden Punkt auf der Tagesordnung abstimmen sollen, zum anderen ist es für die Verbände im Nachhinein kaum feststellbar, wer wie abgestimmt hat, denn in den Protokollen werden nur die summarischen Ergebnisse festgehalten. Dies gilt natürlich insbesondere bei Wahlen (z.B. Präsident, Vorstand), denn diese verlaufen in aller Regel „geheim“, d.h. mit Wahlzetteln ab.
Es gibt hier also ein strukturelles Problem innerhalb der ECAHO, da es keine Kontrollmöglichkeit vonseiten der Verbände gibt, um festzustellen, ob ein Delegierter im Sinne seines „Heimatverbandes“ bzw. entsprechend dessen Absprachen abgestimmt hat.

Interessenskonflikte

Die Verbände bestimmen nicht nur, wer sie in der Mitgliederversammlung (Jahreshauptversammlung, Annual General Meeting) vertritt, sondern sie bestimmen auch die Mitglieder in den Fachgremien oder Kommissionen. Die Delegierten der Jahreshauptversammlung wählen dann die Mitglieder des Vorstandes (Executiv Committee). Sobald jemand in dieser Position ist, vertritt er nicht mehr die Interessen seines „Heimatverbandes“, sondern die der ECAHO insgesamt – so die Theorie.
Nun kann man in diesem Gesamtkonstrukt zwei Arten von Interessenskonflikten unterscheiden, interne und externe Interessenskonflikte, die hier näher erläutert werden sollen:
Interne Interessenskonflikte spielen sich innerhalb der Organisationssturktur der ECAHO ab und betreffen die Delegierten, die Mitglieder der Kommissionen und des Vorstands. Diese Personengruppen sind vielfach selbst Richter, DC, Schauorganisatoren oder Vorstandsmitglieder ihres Verbandes, und so tragen sie also mehrere Hüte in verschiedenen Positionen.
Die Realität zeigt, dass es gar nicht so einfach ist, zwei oder drei verschiedene Hüte zu tragen und allen gerecht zu werden: Wenn nämlich ein und derselbe Delegierte in der Jahreshauptversammlung und in der Kommission seinen Heimatverband und die Interessen der Züchter seines Landes vertritt, dann kann er m.E. nicht gleichzeitig Vorstandsmitglied sein und die Interessen der ECAHO als Organisation vertreten, denn diese beiden “Parteien” können sehr gegensätzliche Interessen haben! Oder umgekehrt: Ein Vorstandsmitglied sollte nicht gleichzeitig auch Delegierter eines Verbandes sein können – dies stellt einen Interessenskonflikt und somit ein weiteres strukturelles Problem innerhalb der ECAHO dar.
Schaut man sich nun die Mitglieder des Vorstandes (Tabelle 1) oder auch der Schaukommission genauer an, wird man feststellen, dass viele von ihnen entweder Richter, DC oder Schauorganisatoren sind. Das ist einerseits logisch, weil diese ein enstprechendes Know-how mitbringen, andererseits ist es auch problematisch, weil sie einen Interessenskonflikt haben (können).

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Drei Beispiele sollen diese Form des internen Interessenskonflikts verdeutlichen: Wenn es in der Schaukommission um die Frage geht, ob Sponsorengelder für eine Schau nur von außerhalb der Araberszene kommen dürfen (also nicht von Gestüten, wie es derzeit vielfach der Fall ist), um die Einflußnahme eines Sponsors zu minimieren, dann haben einige der Schauorganisatoren einen Interessenskonflikt, denn die wenigsten großen Schauen (B, A, Titel-Schauen) kommen ohne Sponsoring von Gestüten (meist aus dem arabischen Raum) aus.
Anderes Beispiel: Die Schaukommission ist auch für die Frage zuständig, ob die Anzahl der Schauen, die ein Richter pro Jahr richten darf, begrenzt werden sollte, damit mehr Richter „an die Reihe“ kommen und nicht eine Handvoll das Geschehen dominiert. Dazu ein kleines Rechenxempel: Im Jahr 2019 (also vor Corona) waren 160 Schauen angemeldet und gleichzeitig 96 Richter auf der A- und B-Liste – das ergäbe im Schnitt 5 Schauen pro Richter. Wenn nun die Frage, wieviele Schauen ein Richter pro Jahr richten darf, von einigen Richtern (die meist sehr viele Schauen richten) selbst entschieden werden kann, dann kommt die derzeit gültige Regelung heraus: Ein Richter darf bis zu 15 ECAHO-Schauen pro Jahr richten und eben nicht die rechnerisch sinnvollen 5 oder 6 Schauen. Ach ja, und er darf beliebig viele andere Nicht-ECAHO-Schauen richten, wie z.B. das Dubai International Arabian Horse Championship, die Schau mit dem höchsten Preisgeld, die nicht der ECAHO untersteht, oder die Schauen der AHO (Arabian Horse Organisation), die ebenfalls vor allem im Mittleren Osten tätig ist.
Drittes Beispiel: Auch die Bezahlung der Richter, DC’s und Ringmasters an diesen Schauen wird von der Schaukommission beschlossen – und damit u.a. von den Betroffenen selbst: Es gibt Sätze von mindestens 200,- € pro Tag an Titel-Schauen, aber nach oben sind keine Grenzen gesetzt (s. BB2022, RCS § 10)! Daher gibt es in den arabischen Ländern Schauen, die weit über diesem Tagessatz liegen, und das ist für manchen auch ein Grund, dort zu richten (oder DC, Ringmaster zu sein). Ach ja, und „materielle Geschenke“ sind immer erlaubt (s. BB2022, RCS § 10). Es soll Leute geben, die verkaufen ihre „materiellen Geschenke“ (meist Uhren, ein beliebtes Geschenk in den reichen Golfländern) noch vor Ort, nicht zuletzt aus Angst, dass sie sonst vom Zoll erwischt werden! All diese Regelungen wurden also u.a. von den Akteuren selbst beschlossen.
Auch hier liegt ein strukturelles Problem innerhalb der ECAHO vor, da die Delegierten über Regeln entscheiden, die ihre eigenen persönlichen Interessen betreffen.

Weitere Interessenskonflikte

Externe Interessenskonflikte spielen sich zwischen „Offiziellen“ der ECAHO (in der Regel Richter, DCs, Ringstewards) und außenstehenden Personen ab, also beispielsweise zwischen einem Richter und einem Aussteller.
Das älteste Blue Book (Regelbuch für Schauen), das ich auftreiben konnte, stammt aus dem Jahr 1999. Darin umfasst das Thema „Interessenskonflikt“ nicht einmal eine Seite, heute sind es über doppelt so viel – gebessert hat sich dadurch offensichlich kaum etwas, wie aus folgendem Beispiel hervorgeht: Nayla Hayek aus der Schweiz, Araberzüchterin seit 1973 und seit 1989 auf der ECAHO Richterliste, hat Ende August 2022 einen (offenen) Brief an die ECAHO geschrieben, in der sie die Korruption innerhalb der Richterschaft anprangert: „Was ich in den letzten Jahren über viele meiner Kollegen gehört und gesehen habe, hat mich zutiefst angewidert“, schreibt sie. Und weiter: „Es hat nichts mit Geschmack oder der Fähigkeit zu Richten zu tun, es ist reine Korruption, und es kommt in verschiedenen Formen vor, sei es eine Bedeckung, seien es Ferien oder einfach Bargeld, das sie im Gegenzug für einen Gefallen im Schauring erhalten.“ Sie gibt ihren Entschluß bekannt, dass sie einer solchen Gruppe nicht mehr länger angehören will und daher von ihrem Richteramt zurücktritt. Eine beliebte Variante hat sie vergessen – Pferdeverkauf zu überhöhten Preisen, wo das Bestechungsgeld sozusagen „bereits integriert“ ist, um sich die „Dankbarkeit“ des Verkäufers, der “rein zufällig” auch Richter ist, zu sichern. Die derzeitigen Regeln zum Interessenskonflikt verbieten dieses zwar, aber nur für das Jahr (365 Tage) vor der Schau – was länger zurückliegt, fällt wohl unter „Erinnerungslücke“ und ein Verkauf, der zwei Tage nach der Schau stattfindet, ist vermutlich „reiner Zufall“.
Wer sich die Schauregeln („Rules for Conduct“) zum Interessenskonflikt (§ 11-14) aufmerksam durchliest, kann nur erahnen, was alles schon aufgedeckt bzw. vermutet wurde. Aber genau darin liegt auch das Problem: Es ist den DCs, aber auch einer Privatperson (Aussteller) so gut wie unmöglich, gerichtsverwertbare Beweise für derlei Machenschaften zu beschaffen, schließlich hat keiner – auch nicht die ECAHO – die Macht, Einblick in die Geschäfte, Konten etc. von Privatpersonen zu nehmen, und das auch noch über Grenzen hinweg! Der Datenschutz tut sein Übriges dazu, denn einer Privatperson ist es noch nicht einmal möglich, vom Zuchtverband den Besitzer eines Pferdes zu erfahren, wenn dieser nicht (vorher) einwilligt, und selbstredend sind Besitzer und Besitzerwechsel häufig auch nicht online in der Stutbuchdatenbank einsehbar (sofern es sie überhaupt gibt).

Kulturelle Unterschiede

Es ist kein Geheimnis, dass es zwischen Orient und Okzident kulturelle Unterschiede gibt. So sind wir in Europa gewohnt, den Preis, mit dem eine Ware ausgezeichnet ist, auch zu bezahlen. Im Orient dagegen ist es ein „Vorschlag“ als „Grundlage zum Feilschen“. In Europa wird Trinkgeld in aller Regel als „Dankeschön für gute Arbeit“ nach Erhalt der Leistung einer Bedienungen oder einem Taxifahrer gegeben. Im Orient dagegen ist es üblich, vor Erhalt der Leistung durch die Gabe von Bakschisch Verwaltungsvorgänge zu beschleunigen oder einen besonderen Gefallen zu erhalten. Die Liste ließe sich verlängern und diese Unterschiede machen in gewisser Weise ja auch den Reiz anderer Kulturen aus.
Die ECAHO wurde (unter anderem) einst gegründet, um ein „level playing field“ (Chancengleichheit) für alle zu garantieren. Dies ist durch die unterschiedlichen Interessenslagen der Züchter im Orient und derer im Okzident aber so schwierig geworden, dass ein Kompromiss für beide Seiten kaum noch eine zufriedenstellende Lösung darstellen kann. Also wird von der einen Seite versucht, Vertreter der anderen Interessensgruppe auf ihre Seite zu ziehen. Womit wir bei Lobbyismus und Korruption sind.

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Von Lobbyismus bis Korruption

In letzter Zeit wurde in Presse und TV viel über Katar berichtet, und wie es diesem kleinen Land gelang, die Fußballweltmeisterschaft 2022 zu bekommen. Dabei wird ein Muster deutlich, das auch Eingeweihten rund um das Arabische Pferd nicht unbekannt sein dürfte. Da ist z.B. die Rede von FIFA-Funktionären, die sich bestechen ließen, von Vorteils-
annahme, von Einladungen und bezahlten Aufenthalten in Luxushotels, von teuren Geschenken und vielem mehr. Das alles folgte einem „Masterplan“, um Einfluß auf die FIFA zu bekommen*).
Ersetzt man nun FIFA mit ECAHO, wie könnte dann dieser „Masterplan“ aussehen? Dazu ein Blick in die Geschichte: Erste Pläne zur Gründung der ECAHO gehen auf das Jahr 1983 zurück, 1987 wurde der legale Rahmen dafür geschaffen – damals war die ECAHO noch rein „europäisch“. Das sollte sich alsbald ändern und 10 Jahre später waren bereits 8 arabische Länder als „associate Members“ (mit Stimmrecht nur in den Fachgremien) aufgenommen, denen 17 europäische Länder (mit vollem Stimmrecht) gegenüberstanden. Heute sind es 17 europäische Länder gegenüber 14 außereuropäischen Ländern, die alle volles Stimmrecht haben – die Einflußnahme von „außerhalb Europas“ hat also drastisch zugenommen, und es sind immer nur 1-2 Stimmen, die das Zünglein an der Waage bilden. Das ist deshalb problematisch, weil die finanziellen Mittel sowohl der Verbände als auch der einzelnen Züchter und somit die gesamte Interessenslage in diesen beiden geografischen Bereichen gänzlich unterschiedlich sind.
Nun darf man nicht die Verantwortung nur auf einer Seite suchen – es war vielmehr auch die Gier der europäischen Verbände und Schauorganisatoren, Sponsorengelder zu erhalten, die den Weg geebnet hat, denn wo Bakschisch nur angeboten wird, aber niemand darauf eingeht, verlaufen solche Bemühungen im (Wüsten-)Sande. Es gehören immer zwei dazu – die, die geben, und die, die nehmen!
Seien wir doch ehrlich: Ohne die Sponsorengelder aus dem Mittleren Osten gäbe es doch längst keine Titelschau mehr auf europäischem Boden, auch keine A-Schau, und unsere B-Schauen würden wieder „auf der grünen Wiese“ stattfinden. Dass aber an diese Gelder auch Bedingungen – oder sagen wir besser Erwartungen – geknüpft werden, das sollte auf der Hand liegen, denn die Werbewirksamkeit einer Bandenwerbung, die es für das Sponsoring offiziell gibt, ist nun wirklich vernachlässigbar. Und nun kann man sich auch vorstellen, wie die Erwartungen an die Schauorganisatoren aussieht: Es geht um die Zusammensetzung des Richtergremiums – und damit schließt sich der Kreis (siehe Kapitel „Externe Interessenskonflikte“).

Der Masterplan

Kommen wir noch einmal auf den Masterplan zurück. Es steht außer Frage, dass das Arabische Pferd seine Heimat ursprünglich im arabischen Raum hatte. Ich kann daher die arabischen Länder verstehen, wenn sie sagen, dass sie die Deutungshoheit über diese Rasse haben wollen, sozusagen das „Ursprungszuchtbuch“, wie es bei anderen Rassen auch der Fall ist, und zwar nicht nur in Sachen „Zucht“, sondern eben auch in Sachen „Schau“.
Dem stehen aber historische Gegebenheiten gegenüber: Sowohl die WAHO als auch die ECAHO sind „westliche“ Gründungen, zu einer Zeit, als die arabischen Länder ihre Pferderasse noch nicht wiederentdeckt hatten. Auch sollte man nicht vergessen, dass sich die orientalischen Länder diesen Organisationen angeschlossen haben – und zwar freiwillig. Ich erinnere mich noch, dass in den 1990er-Jahren darüber diskutiert wurde, dass – anstatt die arabischen Länder in die ECAHO aufzunehmen – diese ihre eigene „ACAHO“ gründen sollten. Für mich auch heute noch die beste Lösung. Einen Versuch der arabischen Länder, eine eigene Organisation zu gründen, gibt es ja, die AHO (Arabian Horse Organisation), die aber hat 2022 nur zwei Schauen in Saudi-Arabien aufzuweisen. Doch anstatt diesen Weg der zwei getrennten Organisationen für zwei geografische Gebiete – gerne mit bilateralen Verbindungen – weiter zu verfolgen, stehen heute Bestrebungen im Raume, die ECAHO in ICAHO (International Conference …) umzutaufen, da man wohl gerne noch weiter expandieren möchte. Das bringt selbstredend auch mit sich, dass der Präsident und die Mehrheit des Vorstandes dann auch aus nichteuropäischen Ländern kommen dürfen, was bislang – aus historischen Gründen – durch die Satzung der ECAHO verhindert wird. Damit würde der Masterplan aufgehen – „Mission accomplished“.
Gudrun Waiditschka