Generationenwechsel

Editorial Ausgabe 2/2023

Der Vollblutaraber ist seit rund 200 Jahren auch in Europa zuhause. Manchmal aber beschleicht mich das Gefühl, dass er die längste Zeit hier gezüchtet sein wird. Die jüngsten Zahlen des VZAP besagen, dass wir 2022 noch 426 Züchter in Deutschland hatten – 2011 waren es noch über doppelt so viele, und in den Heydays (1996) waren es rund 2800 Züchter (ohne die Freunde!). In anderen Ländern sieht es ähnlich aus. Der Rückgang der Züchter ist natürlich auch auf den demografischen Wandel zurückzuführen. Die „Alten“ hören auf, sterben gar – gerade in diesem Heft haben wir den Tod von drei sehr namhaften und großen Züchtern zu beklagen. Und „junge“ Züchter kommen kaum nach.
Aber der Araber wird weltweit gezüchtet, daher wird er überleben. Derzeit werden in den arabischen Ländern rund 60 % aller Araberfohlen geboren – weltweit! Und in den arabischen Ländern ist das Interesse ungebrochen, ist das Publikum jung! Das sollte uns doch Hoffnung geben – oder etwa nicht?
Viel wird in letzter Zeit über den „alten Typus“ des Vollblutarabers geredet und geschrieben – aber kaum einer, der genau definieren kann, was damit gemeint ist. Im Grunde aber ist es der Typ Araber, den wir „Älteren“ kennengelernt haben, als wir das erste Mal mit dieser Rasse in Kontakt gekommen sind. Bei den meisten von uns ist das 30, 40, gar 50 Jahre her. Das Pferd unserer Kinder- und Jugendjahre ist unser Ideal. Die jungen Leute im Nahen Osten, die sich dort insbesondere für die (Schönheits)Shows begeistern, lernen einen ganz anderen Typus Araber kennen. Auch für sie prägt dieser „Erstkontakt“ ihr Ideal, denn nicht zuletzt stehen diese Pferde auch an den Schauen auf den Siegertreppchen! Für uns sind diese Pferde meilenweit von unserem Ideal entfernt, aber nur, weil wir einen anderen Startpunkt hatten. Man nennt dieses Phänomen „Shifting Baseline“, die sich verschiebende Grundlinie (oder Basislinie, Nulllinie). Die Verschiebung wird im Vergleich zu früheren Referenzpunkten gemessen. Diese können ihrerseits aber bereits erhebliche Änderungen gegenüber einem noch früheren Zustand darstellen. Auf unsere Pferde übertragen, wäre dieser erste Referenzpunkt die Original-Araber, die im 19. Jahrhundert nach Europa importiert wurden. Die europäischen Züchter haben dann die Rasse nach ihren Vorstellungen gezüchtet, aber auch verändert. Unser eigener Erstkontkat, d.h. unsere Basislinie liegt dann in den 1970er bis 1990er Jahren. Durch die einsetzende Spezialisierung hat sich die Zucht, hat sich das Pferd weiter verändert. Nicht nur die Araber für den Schauring, auch die Rennaraber. Man kam weg vom Allrounder, hin zum Spezialisten. Die junge Generation, die heute zum arabischen Pferd kommt, kennt aber die Pferde der 70er bis 90er Jahre nicht. Sie kennt die heutigen – und nimmt diese als „normal“ und „gegeben“, und definiert diese als ihren Standard.
Die Frage ist also, wie können wir diesen „alten Typus“, den Allrounder aus unseren Anfangszeiten, einem jungen Züchter von heute schmackhaft machen?
Ideen sind gefragt!
Gudrun Waiditschka