Distanzsport im Kreuzfeuer

Auch in dieser Saison sind im Mittleren Osten bereits wieder 14 Pferde während der Distanzrittsaison im wahrsten Sinne des Wortes „auf der Strecke geblieben“. Wir sprachen mit Ahmed Al Samarraie, langjähriger Organisator von CEI 3*-Distanzritten sowie einer FEI Junioren-Europameisterschaft in Deutschland, über die Hintergründe, was dagegen getan werden kann, und welche Auswirkungen dieser Skandal auch in unseren Breiten hat.

Arabische Pferde: Herr Al Samarraie, ihre Familie ist seit vielen Jahren im Distanzsport unterwegs. Was waren die größten Erfolge, die sie zusammen feiern konnten?
Ahmed Al Samarraie: Da waren beispielsweise die Jugend-WM Teilnahmen unserer ältesten Tochter Joana in Pratoni del Vivaro 2003 und in Bahrain 2005, ihr DJM Titel 2004, ihr Sieg im Nationenpreis des CEIOJY 2004 und damit Gold für das deutsche Team. Der Deutsche Meistertitel 2007 meiner Frau Klaudia mit unserem ersten selbstgezogenen Pferd Ayman sowie ihre erfolgreiche Teilnahme an der Europameisterschaft der Senioren 2011 in Florac mit unserem selbstgezogenen ShA-Hengst Olymp. Dann natürlich in jüngerer Zeit die dreifachen Deutschen Jugend-Meistertitel unserer zweitjüngsten Tochter Moira und ihre erfolgreiche Junior-Europameisterschaftsteilnahme in Rio Frio 2016, alles mit unserer selbstgezogenen ShA-Stute Zarah, die letztes Jahr auch noch „Araber des Jahres“ wurde. Nicht zuletzt der Deutsche Jugend-Vizemeistertitel unserer Tochter Nayla mit der von uns gezogenen Trakehnerstute Famosa, die im Besitz von Gudrun Sauerbeck ist. Last not least – der Höhepunkt des letzten Jahres war Naylas erfolgreicher 14. Platz auf der Jugend-WM in Valeggio mit unserer selbstgezogenen Warsana AA.

AP: Aufgrund ihrer Leistungen im Distanzsport wurden ihre Töchter schon mehrfach zum „HH The President of United Arab Emirates Endurance Cup“ nach Abu Dhabi eingeladen, so auch dieses Jahr ihre Tochter Nayla. Aber sie, bzw. das Team Samarra, hat öffentlich die Einladung abgelehnt. Wie kam es dazu?
A.A.S.: Wenn man die Entwicklung des Endurance Sports der letzten Jahre insbesondere im arabischen Raum betrachtet, dann stellt man fest, dass die Geschwindigkeiten sowohl im Durchschnitt als auch auf dem letzten Loop unglaublich viel schneller wurden. Weltrekorde wurden erritten, wenngleich es in diesem Sport keinen Weltrekord geben darf, denn die Strecken sind gemäß Reglement immer unterschiedlich, so dass es eigentlich keine direkte Vergleichbarkeit geben kann. Doch die Strecken wurden bei den Wüstenritten immer flacher und stets so präpariert, dass sie einer Rennbahn gleichen. Dabei werden Pferde trotz aller Möglichkeiten von Training und veterinärmedizinischer Begleitung, zunehmend an und über ihre physiologischen Leistungsgrenzen gebracht, was einige – wahrscheinlich mehr als wir erfassen können – mit dem Leben bezahlen. Die prestigeträchtigsten, weil auch am höchsten dotierten Rennen dieser Art sind über die Jahre auch zu einer Art von Ankaufsveranstaltung entwickelt worden, mit dem gleichzeitigen Ziel, Imageförderung zu betreiben. Die Einladung der „besten“ Reiter aller oder mindestens der meisten
Nationen mit gleichzeitiger Aufforderung, schon bei der Nennung den möglichen Kaufpreis für das mitgebrachte Pferd zu benennen, spricht für sich.
Wir sehen in diesen Rennen keinen sportlichen Anreiz und wollen nicht an diesen Spektakeln teilnehmen, wenngleich die Erlebnisse und Erfahrungen rund um die Rennen gerade für unsere Töchter durchaus interessant sein könnten. Unsere Entscheidung ist auch unter dem Aspekt zu sehen, dass wir als langjährige Zuchtstätte in einem Land, wo im Vergleich zum nahen europäischen Ausland, sehr wenig für gute Distanzpferde bezahlt wird, weder Pferde über diesen Weg verkaufen möchten, noch die Möglichkeit nutzen, die seit kurzem übliche Ankommerprämie mitzunehmen. In Dubai wurden, soweit mir bekannt, im Januar etwa 22.000 US$ und jetzt im Presidents Cup in Abu Dhabi über 30.000 US$ jedem ausländischen „Ankommer“ bezahlt.
Da wir von einigen Leuten persönlich in den sozialen Medien, per mail oder auch telefonisch angesprochen wurden, ob wir denn der Einladung folgen, haben wir, auch um es zu erklären, beschlossen, unsere Absage öffentlich mit einem klaren Statement zu verbinden. Durch seine Teilnahme an diesen privaten Rennen akzeptiert jeder Teilnehmer die Veranstaltung so wie sie ist. Man hat uns auch vorgeworfen, warum wir dann in Valeggio an der Jugend-WM teilgenommen hatten. Aber eine Teilnahme an einer Meisterschaft, auch an einer internationalen, ist nicht jedem möglich, der könnte oder möchte. Vielmehr muss man sich durch Leistung qualifizieren und wird durch das jeweilige Land über die jeweilige FN zur Teilnahme genannt. Das ist ein großer Unterschied, den wir auch in den anschließenden Diskussionen erklären mussten, weil dies wohl vielen nicht klar ist.

AP: Was genau sind Einladungsrennen, und welchem Zweck dienen die Einladungen an internationale Reiter wie beispielsweise beim „Presidents Cup“?
A.A.S.: Mit den Einladungsrennen verfolgen die Gastgeber mehrere Ziele. Zum einen lädt man die aktuell erfolgreichsten ReiterInnen fast jeder Nation ein, was dann einer Art von eigener Weltmeisterschaft gleichkommt. Die eigenen Reiter messen sich quasi mit den „Besten“ aus aller Herren Länder, was früher tatsächlich zutraf, wenngleich die ausländischen Pferde ja immer mit dem Handicap der langen Anreise und meist auch des extremen Klimawechsels gehandicapt sind. Zum anderen waren diese Rennen auch immer Schaufenster einer sich zunehmend professionalisierenden Szene, die vor allem auf das „große Geld“ durch den Ankauf eines Pferdes, welches sich im Rennen besonders gut gezeigt hat, hoffte. Heute hat sich das verselbstständigt und es sind ganz klar Ankaufrennen, die Preisangabe bei Nennung ist zwar freiwillig, aber die Gastgeber lassen sich auf diese Art und Weise eine Menge guter Pferde quasi vor die Haustür liefern, um dann Pferde mit Potenzial, die auch noch vor Ankauf praktischerweise durch die Teilnahme geprüft werden, zu erwerben. Einerseits schwächt das den Wettbewerb, wenn die guten Pferde nicht wieder mit nach Hause gehen und dann den Sportlern in den anderen Nationen nicht mehr zur Verfügung stehen. Andererseits ist der „Verbrauch“ an guten Pferden erheblich, die nächste Saison ruft und man braucht belastbare hoch talentierte Pferde, um den stetigen, fast schon abonnierten nächsten Championatstitel wieder zu erlangen. Ein letzter Effekt ist der erhoffte und weitestgehend eintretende Imagegewinn, der auch durch die Varianten der großen Rennen in Europa, die mit Reisekostenzuschüssen und Ankommerprämien locken, eintritt. Wenn viele internationale Reiter an diesen Rennen teilnehmen, dann werden diese wohl mehrheitlich von den perfekt organisierten Abläufen, der Gastfreundschaft und der guten Stimmung berichten – dabei werden aber die Schattenseiten zurückgedrängt, oder gar negiert.

AP: Der Distanzsport hat sich in den letzten 10-15 Jahren stark verändert, unter anderem tritt das Motto „angekommen ist gewonnen“ immer weiter in den Hintergrund. Heute scheint der Maßstab aller Dinge die Geschwindigkeit zu sein, auch bei uns. Im Mittleren Osten werden Geschwindigkeiten von über 40 km/h pro Loop geritten, denn schließlich ist (laut FEI) ein Distanzritt ein „Wettbewerb gegen die Uhr“. Was läuft hier falsch?
A.A.S.: Gleich mehrere Dinge: Erstens werden alle möglichen Ziele dieser eigentlich fantastischen Reitsportart auf ein einziges Ziel, nämlich „Erster“ zu werden, reduziert. Hinzu kommt, dass ein „immer schneller“ als Dauerentwicklung dem „biologischen System Pferd“ erheblich schadet und einen hohen Preis von unseren tierischen Partnern verlangt. Das ist leider bereits Realität geworden, weil solche Geschwindigkeiten nur möglich sind, wenn man entgegen der internationalen Regeln, die Strecken nahezu zu 100 % präpariert, permanentes Crewing zulässt, das Anreizsystem so auslegt, dass „gewinnen um jeden Preis“ zum höchsten Ziel erklärt wird und Weltrekorde ermöglicht werden.
Flache Strecken ohne große Richtungs- und Geläufwechsel lassen monotone Bewegungsabläufe zu, permanentes Kühlen durch Wasser täuscht den Metabolismus der Pferde und behindert körpereigne Frühwarnsysteme. Die Begleitung durch die Fahrzeuge ist mit unerlaubtem „Ziehen“ gleichzusetzen, was ebenfalls Pferde manipulieren kann, denn diese folgen den parallel fahrenden Fahrzeugen wie Artgenossen. Von veterinärmedizinischen Hilfen jenseits der ethisch vertretbaren Grenzen im Training ganz zu schweigen, genauso von der Skrupellosigkeit, mit der die besten Pferde dann im Wettkampf bis an den Zusammenbruch benutzt werden. Im Rennsport gibt es keine Weltrekorde sondern nur Jahressieger, weil ein „immer schneller“ eben nicht möglich ist. Wie man in Boudheib gesehen hat, senken die regelkonformen natürlich belassenen Streckenteile erheblich die Geschwindigkeit und damit das Risiko für die Pferde – und es gibt dennoch Sieger.

AP: In wieweit trifft die FEI eine Mitschuld an dieser Entwicklung?
A.A.S.: Die FEI setzt ihre eigenen Regeln nicht durch. Sie läßt zu, dass Weltrekorde erklärt werden, regelt nicht die notwendigen Sperrzeiten für Pferde nach Einsätzen mit bestimmten Durchschnittsgeschwindigkeiten. Sie lässt zu, dass es nun über den bisher höchsten Wettbewerbsklassen, den CEI 4* Veranstaltungen – EM und WM für Junioren oder Senioren – neue CEI 5* Veranstaltungen eingeführt wurden, die vor allem mit hohen Preisgeldern locken und alleine dadurch nur von Veranstaltern durchgeführt werden können, die entweder selber die Mindestgewinnsumme von 50.000 CHF und mehr aufbringen können oder die entsprechend gesponsert sind. Dahinter steht auch der Versuch, mit mehr Medienpräsenz, die zwingend zu einem 5* Event gehört, mehr Öffentlichkeit für unseren Sport zu gewinnen. Was verständlich erscheint, aber angesichts der sich häufenden Vorfälle gleichzeitig auch sehr riskant ist. Im Spannungsfeld zwischen Professionalität, die leider immer mehr gleichgesetzt wird mit maximaler Profitorientierung, und einer weiter wachsenden Zahl von Nationen, in denen Pferdesport, insbesondere Endurance durchgeführt wird, hat anscheinend der Kommerz gewonnen. Die FEI könnte durch andere Anreizsysteme die katastrophale Entwicklung durchaus positiv beeinflussen, sie scheint aber zu schwach oder zu sehr an monetären Zielen orientiert, um wirklich Änderungen herbeizuführen. Ein schwaches System wird immer Teilnehmer haben, die diese Schwächen auszunutzen wissen.

AP: Es ist auch in Europa eine Tendenz zu immer flacheren Ritten mit gerader Streckenführung zu erkennen (z.B. Samorin, Pisa). Was ist davon zu halten?
A.A.S.: Dies ist auch die Folge der zunehmenden Einflussnahme durch das gezielte Sponsoring. Samorin hatte zu Beginn noch mehrere technisch anspruchsvollere Teilstrecken mit erheblichen Höhenmetern rund um Bratislava. Mit der EM 2015 und der WM 2016 wurden aber auf Wunsch der Hauptsponsoren der FEI Meisterschaften, die Strecken verändert und es wurden die flachsten Streckenteile ausgesucht. Das Problem ist aber, dass es dort eben nicht möglich war, eine flache Rennpiste mit sandigem, gleich bleibendem Geläuf zu präparieren. Vielmehr wurden flache Feldwege mit schlechten steinigen Oberflächen und ruppige Asphaltstrecken, flache Sandpisten mit löcherigen Wegen kombiniert, weil es eben nicht anders ging. Abrupte Richtungswechsel taten ihr Übriges und somit war das Geläuf und die Streckenführung eine erhebliche Herausforderung, was ja durch viele Ausfälle mit Lahmheiten sowie einem Todesfall bezahlt wurde. Ich war Kommentator im Vetgate und konnte mir ein eigenes Bild von den Pferden machen, insbesondere vom erschöpften und teilweise leeren Ausdruck der meisten Pferde, die unter den ersten 10-15 ins Ziel liefen. Da die FEI die nächsten Championate in Europa an Veranstalter vergeben hat, die alle den oder die gleichen Hauptsponsoren haben, werden die nächsten Championate eben auch alle auf flachen schnellen Strecken durchgeführt werden. In Florac aber, oder auch in Marbach, würden andere Pferde und Reiter vorne liegen, hier sind auch die besten niemals schneller als 20km/h. Die EM in Florac 2011 wurde mit 18,5 Km/h im Durchschnitt gewonnen.
Insgesamt muss man die Entwicklung sehr kritisch sehen. Für flachere Strecken ist auch weniger reiterliches Können (im Sinne von Qualität) notwendig. Die „Haltbarkeit“, d.h. der Einsatz der Pferde über viele Saisons, hat sich in den letzten Jahren verkürzt, die Zahl der Todesfälle steigt weiter an. Das Distanzreiten steht zumindest in einigen Ländern dadurch stark in der Kritik, auch wenn die angesprochenen Probleme in diesen Ländern meist gar nicht akut sind, wie wir ja in Deutschland sehen können.
AP: Distanzritte werden derzeit nur nach ihrer Länge klassifiziert, also CEI 3* = 160km, CEI 2* = 120 km, usw. Macht das wirklich Sinn? Denn die Topografie und das Geläuf der Ritte finden dabei ja keinen Eingang, sind aber ein wichtiges Kriterium.
A.A.S.: Das Klassifizierungssystem ist im Grundsatz völlig in Ordnung – man muss nur weg von den präparierten Rennpisten und einen Weltrekord wegen Unvergleichbarkeit verbieten. Topografie und Geläuf aber auch die klimatischen Bedingungen am Rittag sind die eigentlichen Herausforderungen. Gerade aber wegen der Vielfalt dieser Parameter machen Rittkategorien und vergleichbare Rittlängen als Konstante Sinn.

AP: Welche Gefahr sehen Sie durch das Sponsoring von Ritten in Europa durch den Mittleren Osten?
A.A.S.: Grundsätzlich war das Sponsoring der letzten 20 Jahre für den Distanzsport mehrheitlich positiv. Das Problem ist die Grenz-
überschreitung: Aus einer Sportförderung wurde sozusagen eine „Übernahme“. Wenn auf einer Jugend WM, die ja eine FEI-Veranstaltung ist, bei der Siegerehrung nur noch die ersten drei genannt werden und sich das Siegerteam aus dem Land des Hauptsponsors über 30 Minuten selbst feiern lässt, dann entspricht das nicht mehr einem fairen und für alle wertschätzenden Wettbewerb. Gerade für die jungen Reiter und Reiterinnen werden hier falsche Signale gesetzt. Darüber hinaus werden durch massive Sponsorings mit Transportkostenübernahmen und Ankommerprämien, wie bei einigen so gesponserten Wettbewerben in Europa in 2017 geschehen und für 2018 schon angekündigt, große Starterzahlen generiert. Dadurch werden den etablierten Ritten, die seit vielen Jahren von engagierten Veranstaltern in verschiedensten Ländern wie z.B. in Frankreich, Belgien aber auch in Deutschland durchgeführt werden, die Starter entzogen, was alleine in 2017 zu erheblich reduzierten Teilnehmerzahlen bei diversen Ritten geführt hat. Weiterhin verändert sich der Distanzsport durch den Einfluss der Sponsoren auch in Europa hin zu möglichst flachen, schnellen Pistenrennen, die eben nicht mehr die Herausforderung Reiter-Pferdpaar gegen eine anspruchsvolle technisch herausfordernde Strecke abbilden. Was hinzu kommt sind die sinkenden Aussichten auf Erfolg, denn nur auf technisch anspruchsvollen Strecken haben auch Reiter aus anderen Nationen eine Chance auf einen Sieg. Vor allem aber wird dann auch in Europa immer mehr auf „schneller, schneller“ trainiert, was – wie vorab schon erwähnt – durch die Pferde bezahlt wird.

AP: Nun könnte man sagen, der Mittlere Osten ist weit weg, und bei uns passiert so was ja nicht. Aber die Auswirkungen dieses Skandals sind auch bei uns zu spüren – in welcher Form?
A.A.S.: Es sind die Auswirkungen der Entwicklung, die wir mehr und mehr spüren. Tote Pferde sind leider im Pferdesport nie ganz auszuschließen. Tragische Unfälle oder unglückliche Umstände führen immer wieder einmal zu einem tödlichen Ende, wie z.B. 2006 anlässlich der WEG in Aachen, wo wir ja auch in der Mannschaft waren und ein skandinavisches Pferd 10 km nach dem Start ein erhebliches Stoffwechselproblem bekam und euthanisiert werden musste. Das lag nicht an der Art des Rennens. Was aber nicht hinzunehmen ist, sind die systembedingten Todesfälle: Röhrbeinfrakturen, Splitterbrüche, Herzversagen. Dies sind Folgen einer über die physiologischen Grenzen des Lebewesens Pferd hinausgehenden Belastung. Dadurch wird auch dem Image des Distanzsports erheblicher Schaden zugefügt. Obwohl wir in Deutschland mit dieser rein auf Geschwindigkeit ausgerichteten Art des Sportes nichts zu tun haben, werden Distanzreiter in Deutschland durchaus von anderen Reitern und Teilen der Öffentlichkeit diskreditiert. Neben den gängigen Vorurteilen, dass Distanzreiter nicht reiten könnten, und wenn dann nur geradeaus, kommt jetzt noch der Vorwurf hinzu, man betreibe doch den Sport, bei dem ständig Pferde zu Tode kämen. Obwohl das tatsächlich als Systemfolge bei uns überhaupt keine Rolle spielt, erschwert das natürlich die Anerkennung von Erfolgen und Leistung, das Etablieren dieser eigentlich faszinierenden Reitsportart, das normale Sponsoring unserer nationalen und internationalen Veranstaltungen und hemmt den Fortschritt des Distanzsports in Deutschland, weil es auch Nachwuchsreiter abhält, sich diesem Sport zuzuwenden.

AP: Welche Maßnahmen kann man auch hierzulande ergreifen? Und was würden Sie z.B. Züchtern raten, die vor der Entscheidung stehen, ihr Distanzpferd in ein Gruppe VII-Land zu verkaufen?
A.A.S.: Ich würde mir klare Statements der FN und des VDDs wünschen, aktivere Suche nach Kooperation mit anderen Organisationen in anderen Ländern, z.B. in Skandinavien, in der Schweiz und in den USA und ein gemeinsames Herantreten an die FEI. Züchtern, die ihr Pferd in ein Gruppe VII-Land verkaufen wollen, kann ich keinen Rat geben. Das muss letztendlich jeder selber verantworten. Jeder einzelne hat die Freiheit sich zu entscheiden, das gilt für die Teilnahme an Einladungsritten – und hier muss man auch unterscheiden -, genauso wie für den Verkauf eines Pferdes. Jeder kann sich heute vorab informieren, ob es bei dem fraglichen Käufer schon Todesfälle oder entsprechende Handhabungen wie häufige extrem schnelle Ritte gegeben hat. Die FEI führt über jeden Reiter und jedes Pferd ein öffentlich einsehbares Archiv. Es kann keiner sagen, er/sie hätte davon nichts gewusst.

Besten Dank für die klaren Worte, und weiterhin viel Erfolg Ihren Pferden und Ihrer Familie!
(das Interview führte Gudrun Waiditschka)


Hintergrundwissen Vereinigte Arabische Emirate

Die Vereinigten Arabischen Emirate sind eine Föderation von sieben Emiraten, gegründet 1971 unter Sheik Zayed [bin Sultan Al Nahyan]. Abu Dhabi nimmt im Rahmen dieser Emirate die wichtigste Stellung ein, besitzt die größte Grundfläche und das meiste Geld (d.h. Öl und Gas). Alle anderen jetzigen Emirate sind in die UAE integriert worden, seinerzeit durch geschickte Verhandlungen und Zugeständnisse des alten Sheik Zayed, der, wie es aussieht, ein wirklich kluger und bodenständiger Staatsgründer war.
Derzeitiger Herrscher des Emirats Dubai ist Sheikh Mohammed bin Rashid Al Maktoum, auch Sheikh Mo genannt. Bereits Sh. Mo’s Vater [Sheikh Rashid bin Saeed Al Maktoum] hatte damit begonnen, neben den vertraglich vereinbarten Provisionen aus Abu Dhabi eine eigene Industrie aufzubauen. Er wollte Dubai als das „Tor zum Osten“ etablieren, also die Rolle, die ehemals Beirut zukam, welches durch die anhaltenden Konflikte diese Stellungen seit einigen Jahrzehnten eingebüßt hatte. Sh. Mo hatte schon zu Lebzeiten des alten Sheikh Zayed diese Strategie erfolgreich vorangetrieben und heutzutage ist Dubai weltweit bekannt und Ziel von Millionen von Urlaubern, Firmen, die sich die Duty Free Zone Jebel Ali (größter Freihandelshafen der Welt) zunutze machen und eine Horde von Geschäftsleuten aus aller Welt. Zur Marketingstrategie der Maktoum-Familie gehört es, in möglichst vielen Bereichen eine Führungsrolle anzustreben und innezuhaben. Das dient vorwiegend den politischen Zielen eines autokratischen Herrschermodells.
In Bezug auf den Distanzsport sind die UAE zum ersten Mal in Kansas im Rahmen der WM 1996 aufgetaucht. In den folgenden 5 Jahren entwickelte sich der Distanzsport auf Grund des Engagements vornehmlich von Sh. Mo in atemberaubender Geschwindigkeit vor Ort aber auch weltweit. Pferde, Trainer, Reiter, Tierärzte – alles Wissen wurde soweit möglich zusammengekauft. Die Erfolge der Maktoum-Familie wurden in den UAE sehr gut promoted und auch der Rest des Landes begann, sich für diesen Sport zu interessieren und auch zu investieren, vornehmlich in Dubai und Abu Dhabi.
Der Staatsgründer der UAE, Sh Zayed verstarb 2004, sein Nachfolger als Präsident wurde Sh. Khalifa [bin Zayed Al Nahyan]. Seine Brüder u.a. sind Sheik Sultan [bin Zayed Al Nahyan] (Boutheib) und Sheik Mansoor [Khalifa bin Zayed Al Nahyan] (Al Watbha). Während Sh Zayed sich weitgehend aus diesen Aktivitäten, wie man es aus Dubai kannte, heraushielt, sind seine Söhne anders gestrickt und begannen, nach seinem Tod Abu Dhabi in ähnlicher, wenn auch in einer weitaus weniger exzessiven Art und Weise, weltweit zu promoten und sich den westlichen Dingen mehr zu öffnen, sei es kutlturell wie auch geschäftlich (Ferrari World, F1, Museen etc). Abu Dhabi ist der wesentlich potentere Partner in den UAE und so wurde sukzessive ein Teil des Prestiges aus Dubai durch Abu Dhabi abgezogen und auch mehr Einfluß auf den Sport genommen u.a. durch zwei Veranstaltungsorte für den Distanzsport in Abu Dhabi (Boudheib von Sh. Sultan, und Al Wathba von Sh. Mansoor) und durch Einflußnahme auf die National Federation (FN) – sehr zum Unbill von Sh Mo, der bis dahin ziemlich freie Hand hatte, was die Beschickung von Championaten betraf und auch bei sonstigen politischen Entscheidungen.
Es hatte sich mit Bezug zum Distanzsport eine Konkurrenzsituation (auch zwischen den Herrscherfamilien innerhalb des Landes) eingestellt, die in der Folge dahingehend eskalierte, daß jeder der Schnellste im eigenen Lande sein wollte und fatalerweise haben eine Unmenge Privatbesitzer diese Vorlage angenommen und versuchen oftmals ohne entsprechend fundiertes Grundlagenwissen die führenden Ställe „zu schlagen“, was de facto nicht möglich ist.
Boutheib ist nun auf Grund all dieser bekannten Eskalationen aus der gemeinsamen Linie ausgeschert, und macht seine eigene Sache (Boudheib Initiative), Al Watbha bleibt bislang unverändert. Es zeichnen sich aber neue Unstimmigkeiten zwischen Dubai und Al Wathba ab. Es bleibt also spannend.
Franz Brueck