WEG Endurance – Vom Traum zum Albtraum

Für viele Distanzreiter ist es ein ewiger Traum, einmal an den Weltreiterspielen (WEG) mit dabei zu sein. Jetzt sind die WEG Endurance vorüber, aber Sieger gibt es keinen. Es gibt nur Verlierer, und der Distanzsport steht dabei an erster Stelle.

Der Fehlstart

Nachfolgend der Versuch einer Rekonstruktion der Ereignisse rund um den Distanzritt der Weltreiterspiele:
Schon bei der Ankunft herrscht Chaos, das Gelände ist noch immer eine Baustelle, die Pferde können nicht ausreichend und in gewohnter Form bewegt werden, die Rittstrecke darf nicht begangen werden.
126 Teilnehmer haben die Vet-Kontrolle am Vortag bestanden und machten sich am frühen Morgen des 12. September an den Start. Hier kommt es zum ersten ernsthaften Problem, als gegen 6:30 h der Ritt gestartet wird und es sich herausstellt, dass zwei verschiedene Gruppen an zwei verschiedenen Orten in unterschiedliche Richtungen gestartet sind. Anscheinend waren die Angaben, wo und wann der Start genau stattfinden sollte, unpräzise. Zu allem Übel werden einige der Reiter dann auch noch von Helfern in die falsche Richtung geschickt.
Der erste Loop ist 37 Kilometer lang und während die Reiter noch auf der Strecke sind, wird von den FEI-Offiziellen beschlossen, den Ritt wegen des “Fehlstarts” abzubrechen und neu zu starten. Dazu muß man allerdings warten, bis alle Reiter nach dem ersten Loop im Vetgate angekommen und untersucht wurden. Das Problem: Nicht alle Reiter haben die gleiche Rittlänge absolviert (weil auf verschiedene Loops geschickt) und jeder Reiter hat unterschiedlich lange Ruhepausen im Vetgate. Die UAE bringt eine Petition vor, dass der Ritt abgebrochen werden soll und zu einem späteren Zeitpunkt wiederholt wird, auf Einladung der UAE. Dieser Vorschlag wird abgelehnt.

Der Neustart

Der Neustart des Rittes wird auf 11:15 h festgelegt, 94 Reiter erhalten die Starterlaubnis. und es wird beschlossen, dass der “neue” Ritt über nur 120 km führen wird, die bereits absolvierten etwa 40 km werden aus den Ergebnissen gestrichen. Vor dem Start, in Erwartung ungünstiger Bedingungen, haben die Tierärzte die Rittparameter geändert, um das Wohlergehen der Pferde zu wahren: Es wurde die Mindestgeschwindigkeit von 14 auf 12 km/h reduziert, ein zusätzlicher Tierarzt-Check wurde eingeführt und die Erholungszeit von 20 auf 15 Minuten verkürzt. Der Versuch der Tierärzte, den Puls auf 60 zu reduzieren, wurde von den Teams (über eine Petition) entschieden abgelehnt – und von der Ground Jury auf 64 zurückgesetzt.
Während die Pferde auf dem ersten Loop (des 120-km-Rittes) sind, beginnt es zu regnen, der Boden wird stellenweise rutschig, wodurch die Pferde mehr Muskelarbeit leisten müssen und schneller überhitzen. Die Pferde haben Schwierigkeiten, mit dem Puls runterzukommen und müssen länger im Vetgate bleiben. Sheikh Rashids Pferd wird im Vetgate aus dem Rennen genommen. Auch das deutsche Team hat Pech: Für Rebecca Arnold mit Serpa kommt am 1. Vetgate das “Aus”, Bernard Dornsiepen mit Bekele E Djem und Ursula Klingbeil mit Aid du Florival sind noch im Rennen.
Der zweite Loop ist anstrengend, da topographisch anspruchsvoll und hügelig. Normalerweise stellt dies zwar keine Schwierigkeit dar, aber die Kombination von Topographie und Witterung ist kräftezehrend. Am zweiten Vetgate ist für die restliche Mannschaft aus UAE Schluß. Die Spitzengruppe um Jaume Puntí Dachs auf Echo Falls, Alex Luque Moral und Calandria PH, Jean-Philippe Francès mit Tarzibus und Maria Alvarez Ponton auf Tonik de Becherel ist noch im Rennen, die Stimmung bei den Spitzenreitern ist gut, denn der schwierigste Teil scheint bestanden.

Das “Aus”

Währenddessen füllt sich das Behandlungszelt am zentralen Vetgate und um 17:45 h wird über Lautsprecher verkündigt, dass das Rennen abgebrochen wird. Als Grund werden die Kombination aus Hitze und Luftfeuchtigkeit sowie die Bodenbedingungen nach dem Regen genannt. Die Gesundheit der Pferde sei das Wichtigste, denn zu viele Pferde haben bereits metabolische Probleme aufgrund des Wetters. Als die Sonne herauskam, entwickelte sich eine schwüle Hitze, und da es vollkommen windstill war, war es den Pferden kaum möglich, abzukühlen. Die Nachricht wird mit Protesten und regelrechten Tumulten der Teilnehmern quittiert, die Offiziellen müssen von der Polizei geschützt werden.
Die offizielle Verlautbarung zum Abbruch des Rittes lautet: “Es war dies eine schwierige Entscheidung, aber es wurde im Hinblick auf das Wohlergehen der Pferde und Sportler gemacht, da die Bedingungen an diesem Nachmittag nach dem Regen zu extrem hoher Luftfeuchtigkeit führten und in Verbindung mit steigender Hitze wurde es als nicht mehr sicher erachtet, den Ritt fortzusetzen”, sagte der Präsident der Veterinärkommission Thomas Timmons.
Der britische Wissenschaftler Dr. David Marlin, der seit den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta an Hitze- und Feuchtigkeitsstudien für die FEI arbeitet, lieferte der Ground Jury Daten aus dem Wet Bulb Globe Temperature (WBGT) Index, der einen Wert von 31 ergab. Alles was über 25 liegt, muß sehr genau beobachtet werden, und die Offiziellen waren sich einig, dass 31 ein unakzeptables Risiko für das Wohlergehen der Pferde darstellte.
Darüber hinaus hat die FEI nach dem Fehlstart am Morgen die unabhängige Equestrian Community Integrity Unit (ECIU), die hier in Tryon vor Ort ist, beauftragt, eine umfassende Untersuchung der Umstände durchzuführen, die dazu führten, dass einige Pferde-Reiter-Kombinationen fehlgeleitet wurden. Die Untersuchung wird Interviews mit den Offiziellen, Freiwilligen, dem Organisationskomitee und allen anderen relevanten Mitarbeitern beinhalten, um ein vollständiges Bild von dem zu erhalten, was passiert ist. Die Ergebnisse werden dem FEI-Büro vorgelegt und die Schlussfolgerungen werden veröffentlicht.

Der Tag danach

Auf einer Pressekonferenz am Tag danach wurde bekannt gegeben, dass 53 Pferde in der Klinik behandelt werden mußten, die meisten wegen metabolischer Probleme. 32 Pferde erhielten Infusionen. Ein Pferd mußte wegen Nierenversagens eingeschläfert werden, dabei handelte es sich um den 20-jährige Wallach Barack Obama der Neuseeländischen Reiterin Jenny Champion.
Die Spanier hatten unterdessen eine Beschwerde eingelegt und verlangten, dass die Medaillen entsprechend der Position zum Zeitpunkt der Absage des Rittes vergeben werden. Diese Beschwerde wurde von der FEI zurückgewiesen, denn kein Reiter hat das Rennen tatsächlich beendet.
Die WEG Endurance sind zu Ende, aber die Angelegenheit ist noch nicht beendet. Vielleicht mußte es tatsächlich zu so einem Tiefpunkt kommen, bevor sich etwas ändert. Hoffen wir, dass es sich zum Besten für die Pferde ändert.
Gudrun Waiditschka