Schau- vs. Reitpferd

Manchmal prallen in der “Araberwelt” die Meinungen ja schon heftig aufeinander. Da wird beispielsweise in jedem zweiten Facebook-Post darum gestritten, ob man denn Schaupferde reiten kann. Die Ansichten hierbei gehen weit auseinander und werden von ihren jeweiligen Vertretern (meist Vertreterinnen…) vehement verteidigt. Von einem kategorischen “Nein” bis hin zum “aber natürlich!” ist alles drin. Dabei werden aber einige wichtige Faktoren gerne “übersehen”.
Zum einen muß man in dieser Diskussion definieren: Was ist ein modernes Schaupferd? Ist es ein Pferd, das irgendwann in seinem Leben mal an einer Schau war, oder vielleicht sogar irgendwo einmal Champion wurde? Oder verstehen wir unter einem modernen Schaupferd nicht vielmehr eines, das an den großen Titel-Schauen vorne steht? Ich meine letzteres, denn hier findet man in der Tat Exterieurmerkmale, die mit einem ernsthaften Reitgebrauch nicht vereinbar sind.
Die nächste Überlegung ist, insbesondere wenn wir uns die Abstammungen anschauen, wann war das Pferd bzw. seine Vorfahren erfolgreich auf Schauen? In großem Maße fand die Exterieurveränderung (hin zu immer feineren Pferden mit extrem langen Linien, d.h. langen Rücken, langen Hälsen, langen Beinchen, schlechter Hinterhandwinkelung, waagerechten Kruppen, etc.) in dieser Gesamtheit erst ab dem Jahr 2000 statt. Pferde vor diesem Datum können also sehr wohl gewisse Reitpferdemerkmale aufweisen und dennoch erfolgreich an Schauen gewesen sein – oder umgekehrt. Außerdem möchte ich behaupten, dass es gerade in Deutschland, Österreich und der Schweiz keine modernen Schaupferde der Spitzenklasse gibt, oder dass sie zumindest an zwei Händen abgezählt werden können.
Weiter muß man definieren, was man unter “reiten” versteht? Einmal draufsitzen und sich durch die Gegend tragen lassen? Freitzeitmäßiges Reiten ohne große Ansprüche an das Pferd (und sich selbst)? Oder wettkampfmäßiges Reiten, sei es Dressur, Western oder Distanz – und dabei noch bis in mittlere Schwierigkeitsstufen erfolgreich? Ich persönlich vestehe unter “Reiten” letzteres, und hierzu braucht das Pferd tatsächlich gewisse Exterieur- und Interieurmerkmale, wie zum Beispiel auch die schwer messbaren Kriterien Arbeitswilligkeit, Rittigkeit und Ko-operationsfähigkeit – und diese kann man erst beurteilen, wenn man mit dem Pferd arbeitet.
Nun gibt es aber in keinem kontroversen Bereich nur schwarz und weiß – es gibt nicht nur den Welt-Champion oder den Dressurcrack. Vielmehr sind dies Extreme, und 90 % von uns und unseren Pferden bewegen sich im Graubereich irgendwo dazwischen. Wenn ich also mal ein Pferd an einer Schau vorstelle, bin ich noch lange kein “Schaupferdezüchter”, und wenn ich mich mal von einem Pferd durch die Gegend schaukeln lasse, bin ich noch lange kein Reiter, und mein Pferd nicht das “Super-Reitpferd”, weil es mich auf seinem Rücken duldet. Es stimmt schon, die meisten Pferde kann man reiten, aber wieviel Leistung sie bei ihren jeweiligen Exterieurmerkmalen erbringen können, wie leistungsbereit sie (mental) sind, wie lange sie (aufgrund von Gebäudefehlern) halten, wieviel Freude ich mit ihnen habe – das sind Fragen, die jeder für sich beantworten muß. Und eine differenzierte Antwort darauf ist gewöhnlich länger als ein Facebook-Post.
Gudrun Waiditschka