Zweijährige auf der Rennbahn

Rennen und Training für zweijährige Rennpferde reduzieren das Verletzungsrisiko – und hier ist der Grund dafür!

Von Natalie Voss aus www.paulickreport.com mit freundlicher Genehmigung.

Nevada Tersk (Dostatok / Nakona) *2017, als Zweijährige 2019 auf der Rennbahn.

Bevor die meisten Rennvereine im ganzen Land [corona-bedingt] geschlossen und das wirtschaftliche Gleichgewicht des Sports in Frage gestellt wurde, bestand das größte Problem der Branche darin, die Zahl der Todesopfer bei Rennen und im Training zu verringern. Tierärzte und Wissenschaftler befinden sich noch immer in einem Lernprozess, wenn es um die Ursachen von tödlichen Verletzungen geht, und bisher scheint es, dass bei bestimmten Verletzungen eine Reihe von Risikofaktoren eine Rolle spielen könnten.

Eine Theorie, die von vielen Leuten im Laufe der Jahre geäußert wurde, ist, dass Pferde, die bereits zweijährig Rennen laufen, entweder frühzeitig verletzungsbedingt ausfallen oder später für schwere Verletzungen prädisponiert wären. Viele dieser Hypothesen setzen das Training und Rennen eines Zweijährigen mit der Teilnahme eines Kindes im Grundschulalter an den Olympischen Spielen gleich. Seit mehr als zwei Jahrzehnten werden Rufe laut, dass den Rennen für Zweijährige ein Ende gesetzt wird. Diese Rufe wurden kürzlich wieder lauter, da einige Fans das [coronabedingte] Rennverbot als einen guten Zeitpunkt angesehen haben, die Strukturen neu zu bewerten und zur Verbesserung des Pferdewohls zu ändern.

Laut Dr. Larry Bramlage, Top-Orthopäde am Rood and Riddle Equine Hospital, besteht das Problem darin, dass ein Stopp für Zweijährigen-Rennen und deren Training keinen Nettogewinn für das Pferdewohl oder die Todesrate darstellt – es könnte tatsächlich sogar ein Verlust sein.

Um zu verstehen, warum dies so ist, muss man sich eingehend mit der Knochenentwicklung und dem Skelettwachstum befassen. Erstens, sagt Bramlage, wachsen Pferde viel, viel schneller als Menschen. Eine Studie aus den 1970er Jahren zeigte, dass leichte Pferderassen im Alter von sechs Monaten 84 Prozent ihrer Endgröße (als erwachsenes Tier) erreicht haben, und im Alter von 12 Monaten 94 Prozent – das entspricht einem Alter von etwa 3 Prozent ihrer Lebenserwartung [von 33 Jahren]. Dies kann daran liegen, dass sie sich [evolutionsgeschichtlich] als Beutetiere entwickelt haben und wie andere langbeinigen Beutetiere in freier Wildbahn so schnell wie möglich die maximale Höhe und Schrittlänge erreichen mussten, um einem Raubtier besser entkommen zu können.

Im Gegensatz dazu erreichen Menschen im Alter zwischen 16 und 18 Jahren fast ihre Körperendgröße – das entspricht etwa 23 Prozent ihrer Lebenserwartung [von 78 Jahren].

Lange Knochen, also die Art von Knochen, die in den Beinen von Pferden vorkommt, wachsen und verändern sich auf verschiedene Weise. Eine Möglichkeit besteht darin, dass sich der Knochen an der Stelle der Wachstumsplatten verlängert, die sich an den beiden Enden des Knochens befinden. Möglicherweise haben Sie schon Zeichnungen gesehen, die den Zeitrahmen für das Schließen der Wachstumsfugen zeigen – d.h. das Alter, in dem diese Wachstumsplatten aufhören, aktiv neue Zellen hinzuzufügen, um die Knochen zu verlängern. Wachstumsplatten schließen von unten nach oben, also Sprunggelenke vor den Kniegelenken, usw. Laut Bramlage sind die Wachstumsplatten in den Unterschenkeln (Kniegelenk und darunter) im Alter von etwa zwei Jahren geschlossen.

“Pferde haben ein paar Wachstumsplatten wie den Widerrist, die zehn Jahre brauchen, um sich zu schließen, aber diese sind nicht wirklich von praktischer Bedeutung, wenn wir über Verletzungen sprechen”, sagte er.

Knochen werden auch [laufend] verändert [d.h. modelliert], was bedeutet, dass sie sich in Breite und Form ändern, dank der Zellen, die Knochen ab- und aufbauen. Diese Modellierung wird von Genen gesteuert.

Solange ein Tier jung ist, sind die meisten zellulären Ressourcen des Knochens auf Wachstum ausgerichtet, aber die Zellen, die sich auf diesen Modellierungsprozesse spezialisiert haben, werden nicht mehr gebraucht, wenn das Tier die Geschlechtsreife erreicht. Bei Pferden tritt die Geschlechtsreife im Alter von neun bis 15 Monaten ein. Der gesamte Knochenbildungsprozess mit seinen Zellen und der dazugehörigen Blutversorgung verkümmert, sobald das Wachstums abgeschlossen ist.

Für ein Pferd, das zusätzliche Knochenstärke benötigt, wie dies bei einem Rennpferd der Fall ist, verändert sich der ‚Modellierungsprozess’ des Wachstums in einen ‚Umbauprozess’, der eine Reaktion auf den Bewegungs- oder Belastungsreiz darstellt. Dieser Umbauprozess ist effektiver, wenn mehr von der Blutversorgung und den Zellen den Übergang von der Modellierung zum Umbau vollziehen.

“Das körpereigene System zur Unterstützung des Wachstums ist bei Pferden enorm”, sagte Bramlage. „Das Unterstützungssystem für das Knochenwachstum ist die Blutversorgung und die speziellen Zellen, die Osteoblasten. Sie müssen diese Osteoblasten haben, die die Knochen bilden, und Sie müssen die Blutversorgung haben, um sie zu versorgen.

„Wenn Sie ein Pferd nicht bereits im jugendlichen Alter trainieren, lassen Sie diese Zellen [Osteoblasten] und diese Blutversorgung verkümmern. Wenn Sie dann mit dem Training beginnen, müssen Sie dies alles erneut aufbauen. Natürlich kann ein Pferd das tun, aber es ist ein viel längerer Prozess, dieses System neu zu erstellen, anstatt die Tatsache ausznutzen, dass es bereits vorhanden ist. “

Der Knochenaufbau bringt einen Knochen in seine genetisch reife Größe und Form, macht ihn jedoch nicht unbedingt dicht genug oder stark genug, um sportlichen Aktivitäten standzuhalten. Damit ein Knochen stärker und dichter wird, muss er umgebaut werden. Der Umbau erfolgt auf zwei Arten: 1) Wenn der Knochen durch den Trainingsreiz Mikroverletzungen erleidet und sich dann selbst repariert, wird er dadurch stärker; und 2) wenn der Knochen spürt, dass seine Größe und Form nicht ausreichen, um die Belastungen zu bewältigen, die er erfährt, wird seine Form umgestaltet. In erster Linie entfernen Zellen, die Osteoklasten genannt werden, beschädigtes vorhandenes Knochenmaterial und Osteoblasten ersetzen dies durch neuen Knochen. Im zweiten Fall fügen die Osteoblasten an bestimmten Stellen Knochenmaterial hinzu, um die Knochenform zu verbessern, entsprechend der durchgeführten Trainingsbelastung.

“Der Knochen ändert sich in Bezug auf die Belastung, die er ausgehalten hat”, sagte Bramlage. „Durch das Training muß man Knochen hervorbringen, die hart genug sind, um der Belastung standzuhalten, und Knochen mit der besten Form, um der Belastung standzuhalten. Der Röhrbeinknochen des Pferdes ist das beste Beispiel dafür, wo beide Prozesse während des Trainings ablaufen. Das „Training“ besteht in allen Tierarten aus [leichter] Überforderung und „Überreparatur“.“

So, und was bedeutet das alles für 2-jährige Rennpferde?

Bramlage sagte, dass wenn man ein Pferd bis zu seinem dritten Geburtstag nur auf die Weide stellt, wird das Skelett an den Weidegang angepasst, aber nicht an die Anforderung für das Training oder das Rennen. Das [körpereigene] System zum Knochenaufbau wird weitgehend verkümmern. Wird das Pferd dann ins Training genommen, muss es die Gefäßversorgung und die Osteoblasten, die den Knochenumbau bewirken, erst wieder aufbauen. Im Gegensatz dazu muss ein Pferd, das bereits im Alter von zwei Jahren trainiert wurde, nur das Gefäßsystem und die Zellen, die bereits für das Wachstum [Knochenaufbau] vorhanden waren, neu [für den Knochenumbau] verwenden.

Dies kann durch die Tatsache erschwert werden, dass Herz und Lunge, die häufig als Indikatoren für die Fitness eines Pferdes verwendet werden, nicht genau wie Knochen auf das Training reagieren. Pferde haben ein so großes Herz und eine so große Lunge, dass diese Organe schneller als das Skelett auf das Training reagieren, insbesondere wenn ein zuvor bewegungsarmes Pferd mit dem Training beginnt. Bramlage glaubt, dass das Pferd, das ein Jahr lang [als Zweijähriger] nur Weidegang hatte und dann mit drei Jahren ins Training genommen wird, ein höheres Risiko für Skelettverletzungen hat, da sein Skelett möglicherweise weniger in der Lage ist, das Tempo zu halten. Dank der Herz- und Lungenkonditionierung scheint das „Weide-Pferd“ genauso schnell (oder sogar schneller) fit zu werden wie sein Stallkamerad, der mit zwei Jahren trainiert wurde, was einen Trainer täuschen könnte, und er die Belastung für das Skelett zu schnell erhöht.

Die Daten bestätigen dies. Jahr für Jahr hat die Equine Injury Database gezeigt, dass zweijährige Rennpferde eine signifikant niedrigere Todesrate hatten als drei- und vierjährige. Vorläufige Daten, die Anfang dieses Jahres veröffentlicht wurden, zeigten, dass ältere Pferde, die als Zweijährige Rennen gelaufen sind, ein geringeres Risiko für karriereverkürzende Verletzungen hatten, als diejenigen, die dies nicht getan hatten [die also erst mit drei anfingen zu rennen].

Im Jahr 2008 analysierte Bramlage Daten aus den Jockey Club Information Systems für Rennpferde, die zwischen 1975 und 2000 liefen, und stellte fest, dass Pferde, die als Zweijährige an den Start gingen, mehr Starts in ihrer Lebenszeit hatten als Pferde, die älter waren, als sie mit dem Rennen begannen. Die durchschnittliche Lebensgewinnsumme für diejenigen, die als Zweijährige angefangen hatten, war fast doppelt so hoch wie die, die älter waren, als sie begonnen hatten, und die durchschnittliche Gewinnsumme pro Start und der prozentuale Anteil an Rennsieger in den Stakes [bestimmte, hochklassige Rennen, z.B. Derby Stakes] war ebenfalls höher für diejenige Gruppe, die bereits mit zwei Jahren an den Start gingen.

“Diese Daten sind eindeutig”, sagte Bramlage in diesem Jahr gegenüber dem Runden Tisch des Jockey Clubs. „Sie zeigen, dass Pferde, die als Zweijährige mit dem Rennen begonnen haben, viel erfolgreicher sind, eine viel längere Karriere haben und hochgerechnet weniger verletzungsanfällig sind als Pferde, die erst mit 3 Jahren mit dem Rennen begonnen haben. In allen Datensätzen ist es absolut so, dass das Training und Rennen von zweijährigen Vollblütern keinen negativen Einfluss auf die Langlebigkeit oder Qualität der Rennkarriere der Pferde hat. Tatsächlich weisen die Daten darauf hin, dass die Fähigkeit, als Zweijähriger wenigstens in einem Rennen gestartet zu sein, einen sehr starken positiven Einfluss auf die Langlebigkeit und den Erfolg eines Rennpferdes hat.“

Aber es gibt eine Einschränkung: Pferde sind Individuen. Es ist nicht zu erwarten, dass alle Pferde mit zwei oder drei Jahren gleichermaßen auf das Training reagieren. Ein Pferd zu zwingen, das nicht bereit ist, als Zweijähriger zu starten, ist auch nicht gut. Deshalb muss ein Trainer unglaublich aufmerksam sein.

Bramlage sagte: “Die Leute haben mich gefragt: ‘Was macht Ihrer Meinung nach einen guten Trainer aus?’ Ich denke, es gibt eine Sache, die Top-Trainer von denen weiter unten trennt, und das ist die Fähigkeit zu erkennen, wann ein Pferd glücklich ist, weil Pferde, die gut trainieren und sich gut anpassen, gerne trainieren. Die guten Trainer können das Pferd beobachten und bis an den Rand ihrer physiologischen Leistungsfähigkeit trainieren. Aber sie können auch herausfinden, wann sie anfangen, zurückzufallen, um dann das Trainingstempo zu verlangsamen oder das Training ganz zu stoppen.“

Pferde sind wie Menschen sehr individuell darin, wie schnell sie ihre sportlichen Höchstleistungen erreichen. Alle Pferde erleben ein schnelles Wachstum in recht ähnlicher Weise, aber sie setzen nicht alle Teile (Knochen, Weichgewebe, geistige, kardiovaskuläre Reife) genau zum gleichen Zeitpunkt in ihrem Leben zusammen. Ein Trainer muss wissen, mit welcher Art von individuellem Typ er es zu tun hat, und er muss erkennen, wenn sich das Pferd nicht schnell genug an seine Trainingsbelastung anpassen konnte.

“Als Sie zur Schule gingen, gab es wahrscheinlich einen Jungen in Ihrer Klasse, der sich in der fünften Klasse bereits rasierte”, sagte Bramlage. „Dieser Typ ist frühreif und wird früh der beste Athlet sein, vielleicht in den ersten Jahren der High School. Aber sie werden größtenteils von denen eingeholt, die zwar etwas später entwickeln, aber dafür etwas weiter entwickeln. “

Wie steht es damit, Pferde im Alter von zwei zu trainieren, und dann zu warten, bis sie drei sind, um sie an Rennen laufen zu lassen? Oder kann man Verletzungen vorbeugen, indem man sich auf lange, langsame Arbeit konzentriert und Geschwindigkeit vermeidet?

Die Wissenschaft unterstützt auch das nicht.

“Monotones Training ist nicht gut für die Knochen”, sagte Bramlage. „Diese Idee, dass wir ein Pferd viele, viele Kilometer galoppieren und auf diese Weise die Knochen immer stärker machen, funktioniert nicht. Knochen trainiert man über die Anforderungshöhe, nicht die Menge. Herz, Lunge und Muskeln trainiert man über die Menge an Bewegung, aber Knochen trainieren über das Niveau.

„Der Knochen eines Pferdes wird auf der Basis seines schnellsten Furlongs [1 Furlong sind 200 m] stärker. Aber wenn ein Pferd im Training 10 Furlongs läuft, sind die letzten neun Furlongs eigentlich nur Knochenverschleiß. Wenn Sie diesen Verschleiß immer wieder fortsetzen, kann es sein, dass das Skelett nicht mithält. Wenn Sie also einem Pferd viel monotone Bewegung geben, erhalten Sie dadurch kein stärkeres Skelett. Nur wenn man mit einer allmählich steigenden Anforderung trainiert, ohne es zu übertreiben, bekommt man am Ende ein stärkeres Pferd.“

Letztendlich haben die Fragen rund um das Rennen und Training von Zweijährigen keine einfachen Schwarz-Weiß-Antworten. Wenn die Beweise klar und einstimmig wären, dass eine bestimmte Vorgehensweise (wie das Verbot von, oder Verpflichtung für Rennen für Zweijährige) wahrscheinlich die Sicherheit der Pferde verbessern würde, wäre die Erstellung von Regeln einfach. Bramlage weist darauf hin, dass es derzeit keine Peer-Review-Studien gibt, die gezeigt haben, dass das Training und Rennen bei Zweijährigen das Verletzungsrisiko erhöht. Wie so viele andere Aspekte in der Ausbildung und im Managements ist es eine Kunst, die richtigen Entscheidungen zu treffen, und diese sollten auf wissenschaftlichen Informationen basieren.

Biografie: Larry Bramlage war 1975 Absolvent des Kansas State University College für Veterinärmedizin (DVM) und erhielt 1978 einen Master of Science vom Ohio State (MS). Er hat ein Diplom des American College für Veterinärchirurgie (Diplomate ACVS). Bramlage ist ein international anerkannter orthopädischer Chirurg für Pferde und Partner im Rood and Riddle Equine Hospital in Lexington, Kentucky. Er ist ehemaliger Präsident der American Association of Equine Practitioners und des American College of Veterinary Surgeons. Er nimmt am “On Call” -Programm teil, um bei der Berichterstattung über wichtige Pferderennen veterinärmedizinisches Fachwissen bereitzustellen. In Anerkennung seines Engagements und seines Beitrags zum Rennsport erhielt Bramlage 1994 die Jockey Club-Goldmedaille für Beiträge zum Rennsport in den USA. Er ist außerdem ehemaliger Vorsitzender des Forschungsbeirats der Grayson-Jockey Club Research Foundation und Mitglied des Board of Directors dieser Organisation. Zu seinen zusätzlichen Auszeichnungen zählen der Tierlink Hochmoor-Preis 1997 für seine Arbeit zur internen Fixierung von Frakturen, der 1998 verliehene Alumnus-Preis der Ohio State University, der Alumni Fellow Award der Kansas State University, der Special Award of Merit der British Equine Veterinary Association und der Auszeichnung des American College of Veterinary Surgeons Legends für die Entwicklung des Fetlock-Arthrodese-Verfahrens für Pferde im Jahr 2009. Er wurde 2002 in den Jockey Club und 2010 in die Distinguished Lifetime Membership der American Association of Equine Practioners gewählt.