Aus der Versenkung holen…

Das “Projekt Alte Deutsche Linien”

Definitionen gibt es viele im Reich des arabischen Pferdes. Da gibt es Crabbet mit Prozent-Angaben, „Old World Polish“, Classic und Straight Russian, Pure Spanish, Asile, Ägypter und wie sie alle heißen. Nur die deutschen Linien haben keine wirkliche Definition, damit auch keine wirkliche Identität und keine Lobby. Vielleicht sind sie deshalb in Vergessenheit geraten?

Neben den bekannten und historisch bedeutsamen Zuchtgebieten Ägypten, England, Polen, Russland und Spanien hat auch Deutschland eine Historie in der Zucht arabischer Pferde. Dazu gehört in erster Linie natürlich die Weiler Zucht des Königs von Württemberg. Und obwohl er rund 1000 Fohlen gezüchtet hat, von denen die meisten in Privathände verkauft wurden, wurden diese entweder als Reitpferde genutzt oder fanden in der Landespferdezucht und zur Veredlung anderer Rassen ihren züchterischen Einsatz. Aber im Gegensatz zu Polen, wo einige Adelsfamilien große Vollblutaraberzuchten unterhielten, gab es in Deutschland kaum private Züchter von Vollblutarabern, und wenn doch, so existierten sie nie für lange Zeit: Gestüt Altenstein des Herzogs von Sachsen-Meiningen (1827-1848), Graf Schimmelmann in Ahrensburg (1848-1885), Heinrich und Emil von Nitzschwitz in Königsfeld (1861-1911), Gerhard von Schmidt in Röblingen (1919-1930) – sie alle hatten ihren Grundstock teilweise oder zur Gänze aus Weil. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg begann ganz zaghaft die Privatzucht in Deutschland auf einer breiteren Basis. Züchter wie Entress (ab 1938), Griesbach (ab 1943), Knyphausen, Hansen und Ismer sind hier zu nennen. Später, in den 1960er- Jahren kamen von Kameke, Schober, Mundinger, Hagemann, Dömken, der Duisburger Zoo und einige andere hinzu. Die meisten haben ihre Zucht wenn nicht ganz, so doch teilweise auf Weil-Marbacher Blut aufgebaut. Die anderen „Teile“ kamen meist aus Ungarn und Polen, von wo in den Wirren des Krieges einige Pferde nach Deutschland kamen, und ab 1955 auch aus Ägypten (Hadban Enzahi, Ghazal, Kaisoon u.v.a.).
Es war also ein bunter Linien-Mix aus drei bis vier Hauptzuchtgebieten (Weil-Marbach, Ungarn, Polen, Ägypten), der die deutsche Zucht zu Beginn prägte. Eine Zucht, die auf Funktionalität aufbaute, auf Charakterstärke und Genügsamkeit. Diese Pferde, die oftmals noch die Härten des Krieges er- und überlebt hatten, stellen ein kulturelles Erbe dar, das in der Folge – dem jeweils aktuellen Zeitgeschmack geschuldet – immer weiter verloren ging. Immer wieder suchten Züchter im Ausland – in USA, in Ägypten, in Russland, zu geringen Teilen in Spanien, England und Frankreich – nach neuen Blutlinien, um „mithalten“ zu können, was in erster Linie hieß: mithalten mit den sich rasch ändernden Anforderungen des Schaurings, der in den 1980er-Jahren immer mehr an Bedeutung gewann und Mitte der 1990er- Jahren seinen Höhepunkt erreichte.


Aber wo ist das Blut dieser „Gründerpferde“ geblieben? Die Antwort lautet: Es ist zwar noch vorhanden, aber es wurde „verwässert“. Vielfach haben die Züchter an ihren Stutenstämmen festgehalten und versuchten die gewünschte Veränderung – d.h. die Anpassungen an den Zeitgeschmack – über die Hengste einzubringen. Das ist durchaus übliche Zuchtpraxis. Um aber dieses Blut nicht „unendlich gering“ werden zu lassen, braucht es ab und an eine Rückkreuzung mit Hengsten aus diesen Linien – und genau dies wurde ab den 2000er Jahren zunehmend schwieriger, weil es einfach kaum mehr Hengste mit einem nennenswerten „alt-deutschen“ Linien-Anteil gab.

Erhalt der genetischen Diversität

Die Stuten, die innerhalb der Gruppe der „alt-deutschen“ eine Stutenlinie gründen konnten, waren in erster Linie natürlich die Murana I, die sich in diverse Familien aufgespaltet hat. Des Weiteren die ungarischen Stuten, die im Gestüt Achental von Frau Gertraude Griesbach eine neue Heimat fanden: Comtesse, Khabitha, Khema, Kho-Rha und Roszka/Rozka, und die polnischen Stuten Armenia, Zygota und Galka, die im Zoo Rostock Einsatz fanden, sowie Polska aus dem Zoo Duisburg.


Kommen wir zur nächsten Frage, der vielleicht schwierigsten – wie will man „alt-deutsch“ überhaupt definieren? Eine halbwegs praktikable Lösung ist, dass die Vorfahren des betreffenden Pferdes, die in den 1960er-Jahren geboren wurden, im deutschen Stutbuch eingetragen waren und auf die oben genannten Zuchten und Gründerpopulationen zurückgehen müssen. Importe, die später als 1970 in Deutschland eintrafen, werden nicht mehr zur Gründerpopulation gezählt. Nehmen wir beispielsweise den Hengst Mansul – einen der besten, aber auch einen der letzten wirklich breit eingesetzten Hengste aus „alt-deutschen“ Linien. Er wurde 1975 geboren, sein Vater Sawih Ibn Wisznu entstammt Pferden, die auf die Entress’sche Zucht und den Hengst Wisznu zurückgehen, letzterer fand bei Griesbach und Ismer Verwendung. Mansuls Mutter Mekka geht auf Marbacher und Knyphausener Pferde zurück – in ihm finden wir also fast alle Zuchten der ersten Stunde vereint und er kann als 100 % „alt-deutsch“ angesehen werden.
Heute gibt es kaum noch Pferde, die man als 100 % „alt-deutsch“ bezeichnen könnte, also muß man das, was noch vorhanden ist, zusammentragen und bündeln. Um den originären Typus zu erhalten, sollte weitmöglichst auf Schaupferdeblut verzichtet werden und züchterisch sollten Reitpferdeeigenschaften, Charakter und Sanftmut im Vordergrund stehen.


Nun ist das Problem heute, dass kaum einer weiß, wo diese Pferde noch zu finden sind. Diesem Umstand will das „Projekt alte deutsche Linien“ Rechnung tragen, eine Initiative, die versuchen will, die Züchter und Liebhaber dieser Pferde untereinander zu vernetzen. Denn ofmals haben sich die Züchter dieser Linien in ein Schneckenhaus zurückgezogen, weil jeder glaubt, dass es kaum mehr einen gibt, der diese Pferde züchtet oder sich dafür interessiert, und dadurch weiß keiner von der Existenz des anderen. Deshalb ist die Vernetzung der noch vorhandenen Züchter und Besitzer dieser Pferde so wichtig, das erleichtert dann auch die Hengstsuche, aber es wäre auch denkbar, dass auf diesem Weg die eine oder andere Stute für ein Wunschfohlen angepachtet wird. Daher wollen wir hier und im Internet für diese alt-deutschen Pferde etwas mehr „öffentliche Wahrnehmung“ schaffen, sodass sich die Leute untereinander finden und in Kontakt treten können. Das Projekt “alte deutsche Linien” will damit aber auch einen Beitrag zur genetischen Vielfalt in der Vollblutaraberzucht Deutschlands leisten. Denn es ist unübersehbar, dass in den letzten 20-30 Jahren eine Konzentration einerseits auf Schaupferde, andererseits auf ägyptische Linien stattgefunden hat. Ins Hintertreffen gerieten dabei die alten deutschen, polnischen, russischen und spanischen Linien, die nicht dem Modegeschmack entsprechen, aber wertvolle Genetik und Eigenschaften verkörpern wie Knochenstärke, Charakterstärke und Rittigkeit.
In unserer Print-Ausgabe 4/2021 machen wir mit einer Kurzfassung der Murana-I-Linie den Anfang – die ausführliche Version der Stutenlinie finden Sie auf der unten angegebenen Website, denn die rund 2500 Pferde würden den Rahmen dieses Heftes sprengen. In den nächsten Ausgaben werden wir Ihnen sukzessive die anderen Stutenlinien vorstellen, aber auch heutige Züchter, bei denen diese Pferde noch zuhause sind. Vielleicht kommt auf diese Art und Weise wieder etwas mehr „Leben“ in diese Linien.
Gudrun Waiditschka

Das “Projekt alte deutsche Linien” wurde von Cordula Schladitz und Gudrun Waiditschka ins Leben gerufen. Die Website finden Sie unter www.in-the-focus.de/alte-linien
Wenn Sie Pferde dieser Linien haben, melden Sie sich und lassen Sie sich mit ihrem Bestand in das Züchterverzeichnis eintragen! Kontakt: cschladitz@yahoo.de