Bei der diesjährigen Hengstparade in Marbach wurde die (wahre) Geschichte des Jacob Noa Epp nacherzählt, der mit seiner Familie in den Kaukasus auswanderte, dort überfallen, verschleppt und als Sklave verkauft wurde, beim Vizekönig in Ägypten diente, schließlich von König Wilhelm I. freigekauft wurde und aus Dankbarkeit in seine Dienste trat. Ein Stück württembergische Geschichte.
Die Nachwehen der Napoleonischen Kriege, die allgemeine Verarmung des Volkes und die Hungerjahre 1816/17, erregten im württembergischen Landvolk eine wahre Auswanderungsseuche. In der Tat wanderten viele Schwaben aus nach Amerika, an den Wolgastrand, in die Krim und ins Kaukasusgebiet. Kaiser Alexander I. von Rußland lockte die Leute durch allerlei goldene Versprechungen in sein Reich; ausgiebige Landzuteilung mit völliger Steuerfreiheit wurde ihnen zugesagt, überdies Freiheit vom Militärdienst und Selbstverwaltung ihrer Gemeinden. So war’s kein Wunder, daß viele der notleidenden Deutschen auf den vorgehaltenen russischen Köder anbissen. Zu ihnen gehörte auch Rudolf Epp, Weingärtner zu Reutlingen mit seiner Familie, darunter auch der 9jährige Jakob Noa.
Mit Sack und Pack in den Kaukasus
Die Familie Epp zog nicht allein in die Ferne. Mehrere Familien schlossen sich zusammen, um in der Fremde sich gegenseitig Halt und Hilfe zu sein. An einem Märzmorgen 1817 begann die Reise. Von Unterhausen die Steige nach Holzelfingen hinauf, wo die Achalm zum letztenmal herübergrüßte, über die Münsinger Alb nach Ulm. Dort bestieg die ganze Gesellschaft eine Ulmer Schachtel und schwamm die Donau hinab. An Ingolstadt, Regensburg und Passau ging’s vorbei, an Linz, Wien und Budapest. Hinter Belgrad passierten sie die türkische Grenze. Noch allerlei Abenteuer warteten auf die Reutlinger, bis sie endlich in Russland angekommen waren. Nun wandten sie die Deichsel nach Südost, überquerten die Pässe des Kaukasus und trafen wiederum nach viermonatlichem Hin und Her in ihrem Bestimmungsorte Katharinenfeld ein. Die neuen Ansiedler waren in Katharinenfeld hoch willkommen. Etwa hundert deutsche Bürger evangelischer Konfession hatten sich dort seßhaft gemacht, also rund 400 bis 300 Seelen. Mit den frischen Ansiedlern wuchs auch die Sicherheit des Dorfes gegen herumstreichende Zigeuner und anderes Gesindel.
Zehn Stunden nördlich von Katharinenfeld lag Tiflis, die Hauptstadt des Gouvernements Kaukasien, damals eine Stadt von etwa 4000 Häusern und 23 000 Einwohnern. Europa und Asien reichte sich dort die Hand. Daher auch ein Mischmasch von Bevölkerung: Armenier, Georgier, Russen, Tataren, Perser, Griechen, Polen. Dieses Tiflis war eine wohlhabende, mächtig aufstrebende Handelsstadt, ein lohnendes Absatzgebiet für Katharinenfeld.
Die Jahre flogen, man schrieb 1826. Noa zählte nun achtzehn Jahre. Um jene Zeit schwirrten beunruhigende Gerüchte durch die Siedlung, wie ein Alpdruck lag auf den Kolonisten die Furcht vor feindlichem Überfall.
Erst im Jahr 1799 hatten die Russen Tiflis besetzt, seit 1801 war Kaukasien als Provinz dem Zarenreiche einverleibt und die Gebirgsstämme russische Untertanen; dem Namen nach. In Wirklichkeit aber hausten die Bergvölker als freie Räubernomaden in den Tälern und Schluchten des wilden Kaukasus und überfielen die umliegenden Dörfer. Neben der Beute an totem Inventar wurden auch die Bewohner fortgeschleppt; kräftige Männer wurden als Arbeitssklaven verkauft, die Frauen und Mädchen in türkische Harems. Zu den gefürchtetsten Raubstämmen gehörten die tatarischen Lesgier; ihre Schlupfwinkel in den Schluchten des Kaukasus lagen wenige Tagesreisen abseits von Katharinenfeld. Bisher waren sie unschädlich gewesen. Eine starke russische Schutzwache aus Donkosacken hielt sie im Schach. Als aber im Jahre 1826 zwischen Persien und Russland kriegerische Verwicklungen entstanden, schickte Russland seine Kosaken an die Front. Von da an tauchte nur noch vereinzelt ein Kosake bei den Dörfern auf. Die scharfäugigen Lesgier merkten das und wußten, nun kommt unsere Zeit wieder, unser altes Handwerk kann wieder aufleben, die zünftige Räuberei.
Als eines Tages die Sonne rot am Abendhimmel stand, jagte der vor dem Dorf als Wache aufgestellte Reiter durchs Dorf mit dem Schreckensruf: „Die Lesgier kommen, sie sind mir auf den Fersen! Flieht!”
Und schon knallten Flintenschüsse am Dorfeingang. Die aufgeschreckten Bewohner rissen einen Augenblick die Fensterflügel auf; sie versuchten durch Hintertüren und Gärten zum Oberdorfe sich zu retten. Wer sich bis auf die Straße wagte, wurde niedergestoßen oder gefangen. Unser Noa rannte zum Oberdorf und fand seine Eltern und Geschwister im Haufen der Flüchtlinge. Die Lesgier drängten nach, sie schossen und stachen in das wehrlose Gewimmel. Was ihnen wertvoll schien und transportabel war, schleppten sie mit, das übrige wurde vernichtet. Im Wirrwarr war es Noa gelungen, sich wegzustehlen; er wußte in der Nähe ein dichtes Gebüsch, dorthin rannte er um sein Leben und versteckte sich. Aber das Falkenauge eines Lesgiers hatte ihn erspäht. An den Haaren zog er den Unglücklichen ins Freie. Dort zwang er ihn, vor den Sattel zu sitzen; knotete ihm die Hände auf den Rücken zusammen und verschnürte die Füße unter dem Bauch des Pferdes.
Der Lesgier ritt mit Noa weiter. Am Ufer wartete ein Türke namens Mellega, der mit den Lesgiern unter einer Decke steckte. Ihm wurde Epp nebst sieben weiteren Gefangenen verkauft. Eine Woche war Noa im Dienste des Sklavenhändlers. Er stand gerade unter der Haustüre seines Herrn, als ein Bedienter des Pascha von Akiska vor Mellega trat: „Herr,“ sprach er, „dein Sklave Hassan gefällt dem Pascha; er ist gesund und schön und stark. Der Pascha wird ihn dir abkaufen; er muß sofort mitkommen. Was willst du dafür?” – „Mein Herr möge ihn geschenkt nehmen, so er Freude an ihm hat. Unter Brüdern würde er 6000 Piaster gelten.”
Nicht lange verblieb Noa im Hause des Akiska-Pascha. Es war Sitte, daß sich zu jener Zeit die Großen und Gewaltigen mit Sklaven vergnügten. So kam Noa als Präsent an den Pascha von Erzurum und von diesem nach einem Jahr an den Medschid Effendi, den Schatzmeister des Sultans in Konstantinopel.
Dieser Effendi war ein wirklich menschenfreundlicher Gebieter. Noa wurde nicht mißhandelt. Speise und Trank waren vollauf genügend für ihn. Die Beschäftigung Epps, er hieß jetzt Rustan, bestand einzig und allein darin, daß er seinem Herrn zur bestimmten Zeit mit einer Tasse Mokka aufwartete und daß er jederzeit imstande war, eine sorgfältig geputzte, richtig mit feinstem Tabak gestopfte Pfeife seinem Effendi mit glühender Kohle in Brand zu setzen. Somit war er quasi, zum “konstantinopolitanischen Rauchtabakspfeifenverwalter” avanciert.
Noa hätte also, rein äußerlich betrachtet, ein beschauliches Leben gehabt. Aber wie oft lag er schlaflos, wie oft wurden ihm die Augen feucht, wenn er an das Schicksal von Eltern und Geschwistern dachte. Das lag über ihm wie eine dunkle Wolke.
Nun geschah es. daß der Medschid Pascha dem Vizekönig von Ägypten, Mehmed Ali, eine Freude machen wollte. Was konnte diesem kriegslustigen Gewalthaber lieber sein als Stärkung seiner Militärmacht. So wählte denn Medschid Pascha von seiner Palastkompagnie die schönsten und tüchtigsten Sklaven aus, 25 Mann, darunter auch Noa, und schickte sie nach Kairo.
In den Diensten Mehmed Alis
Mehmed Ali war eben im Begriff, seine Armee nach europäischem Muster zu bemannen und auszubilden. Dazu bedurfte er vor allem eines tüchtigen Offizierskorps. Um dieses zu gewinnen, wurden die intelligentesten Rekruten in die Kasernenschule geschickt, die Auslese davon rückte dann in die KadettenschuIe vor, auch unser Noa, der jetzt Elparis hieß. Er hatte in der Kasernenschule türkisch lesen und schreiben gelernt, sprach daneben russisch, persisch und arabisch, war ein flotter Reiter, hatte in Konstantinopel gute Manieren sich angeeignet, war fleißig und willig, kurz, er besaß alle Eigenschaften eines künftigen Offiziers.
Gegenwart und Zukunft hätten für einen Türken ziemlich sonnenhell ausgesehen. Doch schon auf der Reise von Konstantinopel nach Kairo war unter den Kameraden Noas der Verdacht aufgetaucht, Elparis sei kein Muslim. Er sprach nicht die vorgeschriebenen Gebete, er hatte nie den Wunsch einer Wallfahrt nach Mekka, besuchte in Kairo auch keine Moschee. Der Verdacht verdichtete sich zur Gewissheit. Das wurde den fanatischen Vorsehern der Soldatenschule hinterbracht. Bei einem Verhör wurde er eingehend nach Heimat, Herkunft und Schicksal befragt, auch nach seiner Religion. Eine Ausflucht war unmöglich. Wollte Noa auch nicht. Eine Leibesvisitation hätte sofort bewiesen, daß ihm das den Juden und Mohammedanern gemeinsame Bundeszeichen, die Beschneidung, fehle. So bekannte er offen und freimütig, daß er Deutscher sei und Christ.
Die Muftis erklärten ihm, welche Vorteile der Übertritt zum Islam ihm brächte: Die höchsten Ehrenstellen als Offizier, im Paradies die süßesten Wonnen in höchster Potenz. Noa setzte ihrer Werbung ein festes „Nein” entgegen. Nun änderten sie die Tonart ihres Bekehrungseifers. Sie drohten mit einer Sohlen-Bastonade von 500 Streichen. Noa wußte, was ihm bevorstand, entsetzliche Qualen, vielleicht Siechtum. Trotzdem beharrte er auf seiner Weigerung. Ohne lang Federlesens zu machen, wurde an Epp die Missionsprozedur vollzogen, unbarmherzig.
Noch war keine Stunde vergangen, noch hatten sich die rasenden Schmerzen um kein Härchen gemindert, da setzte schon der zweite Teil der Bekehrungsprozedur ein. Er wurde auf eine Art Pritsche geworfen, handfeste Kerle hielten ihm Arme und Beine, und nun wurde an ihm die Beschneidung vollzogen. Auf die Frage, ob er immer noch dem Christentum anhänge, trotz Bastonade und Beschneidung, gab er die unter solchen Umständen sehr gewagte Antwort: „Jawohl, ich bleibe Christ!”
Die Mißhandlung und all die grausigen Erlebnisse der letzten Jahre warfen unseren Noa darnieder, er brach körperlich und seelisch zusammen und wurde in das Militärspital gebracht. Der Spitalarzt, ein Armenier, hatte Mitleid mit dem neu eingelieferten Patienten. Um jene Zeit hielt sich in Kairo auch der schwäbische Missionar Kugler auf, geboren in Schopfloch. Er war auf der Durchreise in sein Arbeitsgebiet Abessinien. Diesen machte der Armenier auf seinen in so betrübter Lage befindlichen Landsmann aufmerksam. Kugler besuchte Epp, befragte ihn um sein Vaterland und um seine Wünsche. Nicht lange nach Kuglers Besuch kam ein preußischer Apotheker ins Spital. Der Preuße redete den erstaunten Noa in der Muttersprache an. Das erweckte sein Vertrauen. Ganz offen erzählte er sein trauriges Schicksal und sprach von dem heißen Wunsch, frei zu werden und ins Vaterland heimkehren zu dürfen. Es wurde ein Konsul namens Daniel Dumreicher eingeschaltet, dieser gab die ernsthafte und erfreuliche Zusicherung, daß er alle Hebel in Bewegung setzen werde, um Noa zu befreien. Welche Schritte dieser wackere Konsul unternahm, erfuhr vorerst niemand, alles geschah in der Stille, und als fast ein Jahr verstrichen war, und Elparis in der Soldatenschule längst wieder studierte und exerzierte, hatte er die Hoffnung auf Freiheit aufgegeben.
Da, eines Vormittags, wurde Elparis auf das Dienstzimmer Ibrahim Paschas befohlen, der über die Soldatenschule Inspektor war. Was konnte Ibrahim Pascha von ihm wollen? Dieser Adoptivsohn Mehmed Alis war als tapferer Soldat und sieggewohnter Feldherr gefeiert, aber als grausamer Wüterich gefürchtet. Beim Eintritt ins Dienstzimmer wurde Noa von Ibrahim scharfen Blickes gemustert; der Pascha nickte, er schien befriedigt.
„Du fährst übermorgen mit dem Ordonanzschiff nach Alexandrien. Dort meldest du dich bei Mehmed Ali in voller Kriegsausrüstung. Mein Vater hat scharfe Augen. Hab acht, daß du ihm nicht zu Tadel Anlaß gibst. Das weitere wirst du von ihm hören. Bis übermorgen hast du Urlaub.”
Noa wußte nicht, wie ihm geschah, aber er ahnte daß ihm die Freiheit winkte. Wie er ging und stand, rannte er zu seinem Gönner, dem Apotheker. Hier erfuhr er den Zusammenhang: auch, daß seine Befreiung so gut wie sicher sei, alle Vorbereitungen zur Reise seien bis ins einzelne getroffen. Unter Dankestränen verabschiedete sich Noa von dem barmherzigen Samariter, dann eilte er zum armenischen Arzt und zum dänischen Konsul. Er kann vor Rührung nicht viel Worte machen. Das Glück, das dem Vielgeprüften aus den Augen leuchtete, war ihnen Dankes genug. Jeder drückte dem Schützling beim Abschied etwas Hartes in die Hand, einen Goldpiaster. In der Kaserne fand er Urlaubspaß und den Reiseschein zur Fahrt auf dem Ordonanzschiff.
Vor Sonnenaufgang stand er an der Schiffslände. Die Rudermannschaft saß schon auf den Bänken. Der Kapitän prüfte Noas Papiere, ließ ihn eintreten und wies ihm unter einem Sonnensegel den Platz an. Wenn ein Kadett in Paradeuniform sich dem Vizekönig vorstellen mußte, so war das schon etwas Besonderes. Dann wurde Noa auf der Fahrt mit größter Zuvorkommenheit behandelt.
Mittags vier Uhr legte das Boot an der stattlichen Schiffslände an. Am nächsten Tag auf zehn Uhr war er zur Audienz befohlen. Sie dauerte kurz. Mehmed Ali war zeitgeizig. Wenige Fragen stellte er, auch die nach der Religion. Da sprach Mehmed Ali das erlösende Wort: „Du bist von Stund an frei. Reise ungehindert in die Heimat! Und vergiß nicht, deinem König Wilhelm zu danken, wenn du heimkehrst ins Land deiner Väter. Allah sei mit dir!”
Noa wußte sich nicht anders zu helfen, er ging in die nächste Moschee, um Gott für seine Hilfe zu danken: er wird Noas Dankopfer auch dort gnädig angesehen haben.
Des andern Tags schon fuhr ein Segler ab nach Triest. An Candia, Malta, Sizilien vorbei, durch die Adria, nicht weniger als 52 Tage dauert einschließlich der Aufenthalte die Fahrt. Im Hafen von Triest gab’s eine Quarantäne von 37 Tagen. Dann ging’s weiter. Von Triest schiffte er nach Venedig, trat zu Lande die Weiterreise über Verona, Innsbruck, Kempten und Ulm nach Stuttgart an. Wo er Hilfe oder Vorschub bedurfte, geschah es überall, und wenn er Geld brauchte, erhielt er es auf Rechnung seines Königs.
Die Rückkehr ins Heimatland
Von Ulm an benützte Noa die Post. Er hörte wieder schwäbische Laute, zum Mittagessen gab’s Sauerkraut mit Rauchfleisch und Spätzle, er löschte den Durst mit Apfelmost. Am Abend des 16. Dezember 1830, es war ein Donnerstag, rasselte die Postkutsche von Thurn und Taxis über den alten Postplatz in Stuttgart. Die Kunde vom Eintreffen des Muselmannes aus Schwaben war wie ein Lauffeuer durch die Stadt geflogen.
Am Freitag morgen machte er nach dem Frühstück einen Gang durch die Hauptstraßen. Viel Volks begleitete ihn, voraus, zur Seite, hinterdrein. Der Muselmamn aus Schwaben war über Nacht berühmt geworden. Um zehn Uhr meldete er sich auf der Schloßwache. Eine Ordonnanz wurde zum diensttuenden Kammerherrn ins Schloß geschickt, dieser rapportierte dem König und Epp wurde sofort empfangen. Nach orientalischer Sitte wollte er sich dem König zu Füßen werfen. Das duldete aber der leutselige Monarch nicht.
So kreuzte Noa die Arme über der Brust und machte mit der Würde und dem Anstand des Orientalen dreimal eine tiefe Verbeugung. Nun wollte er sprechen: er konnte aber nicht, die Tränen liefen ihm über die Wangen. Da nahm der gute König seine Hand und führte ihn zu einem Sessel. „So, mein Sohn, setz Dich! Du möchtest mir danken, aber du kannst nicht, ein andermal. Ja, es ist wahr, ich hab’ Dich frei gemacht. Es war meine Pflicht, für ein Landeskind zu sorgen, und ich freue mich, daß mir deine Befreiung gelungen ist. Der dänische Konsul hat mir von dir berichtet. Mehmed Ali und sein Sohn kennen mich als Liebhaber und Züchter edler arabischer Pferde. Ich stand mit Mehmed Ali und Ibrahim Pascha wegen Ankaufs arabischer Pferde aus Kairo schon im Briefwechsel. So fand ich in deiner Sache willige Ohren. Was hast du nun im Sinn, mein Sohn? Ich möchte in Zukunft für dich sorgen. Dreierlei Wege stehen dir offen. Als gelernter Landwirt kannst du auf einer Domäne unterkommen, du kannst mir als Hoflakai dienen, am liebsten aber wäre mir’s, wenn ich dich im Marstall bei meinen Pferden verwenden könnte.”
„Herr,” unterbrach der eifrige Noa den König, „das möchte ich von Herzen gern. Wir haben in Rußland selber Pferde gezogen, ich weiß mit Pferden umzugehen, ich kann reiten wie ein Tatar. Ja, laß mich bei dir und deinen Pferden bleiben, so kann ich dir vergelten, was du Gutes an mir getan.“ Der König überhörte das orientalische „Du”; lächelnd klopfte er dem Noa auf die Schulter; „recht so, Noa; und hiermit bestelle ich dich als Bereiter in meinem Leibstall.”
Noa bekam im Leibstall zwei arabische Schimmel zu versorgen, Omar und Ali. Im königlichen Reithaus durfte er die Tiere täglich bewegen. König Wilhelm schritt oft durch seinen Marstall. Traf er dabei den Noa, so ließ er sich immer mit ihm ins Gespräch ein und freute sich der verständigen, offenen und bescheidenen Art seines Bereiters. Ernst befahl ihm Wilhelm: „Epp, heute mittag reit’ ich nach Scharnhausen, du begleitest mich. Um halb zwei bist du am Hauptportal des Schlosses: ich reite den Hengst ‚Aldebaran‘, du die Stute ‚Temma‘! Von da an durfte Epp öfters seinen Herrn begleiten.
Im Jahre 1836 durfte Noa einen besonderen Beweis des Vertrauens seines Königs erfahren. Wilhelm hatte im Libanon sechs arabische Pferde gekauft, fünf Hengste und eine Stute. Epp durfte den Tierarzt Dambly begleiten, um die edlen Tiere abzuholen. Im Fußmarsch ging’s den Libanon herab, in Beirut wurde Mann und Roß eingeschifft und wiederum ging’s in kleinen Tagesmärschen, die Araber am Zügel führend, Stuttgart zu. Elf Monate dauerte die Reise. 1840 holte Epp mit Graf Taubenheim ein Paar edle, arabische Zuchtpferde, die dieser im Libanongebirge und Damaskus gekauft hatte.
Und hoch schlug unserem Noa das Herz, als im Jahre 1852 Baron von Hügel den Auftrag erhielt, in Kairo Pferde zu kaufen. König Wilhelm ließ Noa rufen. „Epp,” sprach er gütig. „Du hast dich im Marstall und bei den Pferdekäufen im Orient bewährt. Nun will ich dir eine besondere Freude machen. In acht Tagen reist Baron von Hügel mit dem Gestütsarzt von Scharnhausen und mit einigen Stallknechten nach Kairo. Du darfst mit, rüste dich. Besuche deine alten Freunde und erzähle mir von ihnen!”
Diese Transportreisen waren für Epp herrliche Tage. Die Reise nach Kairo aber war sein Entzücken. Mit Stadt und Leuten vertraut, der Sprache mächtig, konnte er seinen Gefährten der denkbar beste Reiseführer sein. Aber das Dreigestirn seiner Freunde, der armenische Arzt, der preußische Apotheker und der dänische Konsul, waren nicht mehr vorhanden..
Später wartete auf Epp ein anderer Dienstzweig. Er wurde den Hofkutschern zugeteilt. Kein Kutscher hat es so verstanden “wie der Türke”, erzählte man sich später noch. Mit sicherer Eleganz lenkte er auch ein Vier- und Sechsgespann. Und wenn der Noa hoch auf dem Bock thronte, sechs Araber vor sich, in der Kutsche Kaiser und Könige hinter sich, wahrhaftig, er hätte mit Kaiser Alexander und Napoleon selber nicht getauscht. Als Oberhof-Kutscher wurde er nach 39-jähriger Dienstzeit anno 1869 unter König Karl pensioniert und lebte dann längere Jahre mit seinem Schwiegersohn zusammen, der die Tochter Noas aus zweiter Ehe zur Frau hatte. Auch in hohem Alter noch trug er gern den roten Fez auf dem grauen Haupt und einen Türkenschlafrock um die Lenden. Er starb am 8. November 1884 und ruht auf dem Fangelsbachfriedhof in Stuttgart.
Gekürzte Version. Im Original erzählt von Julius Bazlen, erschienen im Reutlinger Generalanzeiger vom 18. April 1934ff.
In ganzer Länge auch in dem Buch “Königliche Pferde – die arabische Pferdezucht der württembergischen Könige” von Gudrun Waiditschka nachzulesen.