Rassestandard – ja oder nein?

Editorial 1/2024

Das arabische Pferd war jahrhundertelang das Kriegspferd der Beduinen und später ein Reitpferd der europäischen Kavallerie beziehungswiese ein Verbesserer der Kavalleriepferderassen. Die Quintessenz war also schon immer: Das Araberpferd ist ein Reitpferd. Dies galt noch, als die meisten Zuchtverbände gegründet wurden, und so haben sie diesen wichtigen Aspekt in ihren Rassestandard aufgenommen, immer im Hinterkopf behaltend, dass die Funktion (Reiten) die Form (Exterieur) bestimmt.
Was aber ist eigentlich ein Rassestandard? Er wird von den Zuchtverbänden definiert und beschreibt die charakteristischen Merkmale einer Rasse, die als Zuchtziel angestrebt werden. Die WAHO, als übergeordneter Zusammenschluß aller Zuchtverbände des arabischen Pferdes, hat wohlweislich keinen Rassestandard definiert, weil man der Ansicht ist, dies würde die Typenvielfalt des arabischen Pferdes, wie er in seinem Ursprungsgebiet vorherrschte, einschränken. Die einzelnen nationalen Zuchtverbände aber haben meist einen Rassestandard, und dieser kann von Land zu Land unterschiedlich sein. Schauen wir doch einmal nach, wie der Rassestandard in Deutschland definiert wird (beim VZAP versteckt sich diese Definition im „Zuchtprogramm für die Rasse Arabisches Vollblut“). Da lesen wir unter „Zuchtziel“: „Der Arabische Vollblüter soll im Erscheinungsbild hohen Adel und Trockenheit mit geschlossenem und harmonischem Körperbau ausdrücken. Das Arabische Vollblut soll ein unkompliziertes, charakterstarkes, nervenfestes sowie umgängliches und gleichzeitig einsatzfreudiges, leistungsfähiges, leistungsbereites sowie vielseitig veranlagtes, für Reit- und Sportzwecke jeder Art geeignetes Pferd sein. Es soll sich aufgrund seiner schnellen Regenerationsfähigkeit und Befähigung zu hoher Ausdauerleistung für die Überwindung langer Distanzen, aber auch für den Rennsport eignen. Erwünscht sind weiterhin robuste Gesundheit, gute physische und psychische Belastbarkeit, Langlebigkeit, Fruchtbarkeit und das Freisein von Erbfehlern.“ Dann folgen die „Eigenschaften und Hauptmerkmale“ mit den Unterpunkten: Typ, Kopf, Hals, Gebäude, Fundament, Grundgangarten, Springanlage, Rittigkeit, Interieur, Leistungsveranlagung und Gesundheit.
Gegen diesen Rassestandard läßt sich im Grunde nichts einwenden – aber wo und wann wurde davon abgewichen – und warum?
Nun ist das Vorstellen eines Pferdes an der Hand einfacher, kostengünstiger und weniger zeitaufwändig als eine Reitausbildung, und es können schon Fohlen und Jährlinge vorgestellt werden. Dadurch wurde das Vorführen an der Hand für das arabische Pferd populär und die ECAHO konnte mit diesem neuen „Verwendungszweck“ indirekt einen weiteren, einen anderen Rassestandard schaffen, bei dem plötzlich der „Typ“ alle anderen Aspekte überwog. Allerdings hat dieser „Showpferde-Standard“ einen großen Fehler: Er stellt die (durch die Gesamtheit aller Richter nach deren Schönheitsideal) künstlich geschaffene Form an die erste Stelle und die Funktion an die letzte Stelle. Mit dieser Umkehrung der Gewichtung dieser beiden Aspekte befindet sich die Schauszene auf demselben (Sackgassen-)Weg wie die Züchter von Hunden und Katzen, die ausschließlich auf einige zweifelhafte Schönheitsmerkmale wie kurze Nasen, einen abfallenden Rückenlinien und hydrozephale Köpfe hin züchten.
Gudrun Waiditschka