Aus der Sicht des Richters

Anmerkung der Redaktion: Das Englische (vergleichende) Richtsystem ist auf dem europäischen Kontinent eher selten, trotz aller Vorteile. Wir wollen aus diesem Grund in loser Folge die verschiedensten Richtsyteme vorstellen, mit ihren Vor und Nachteilen. Den Anfang macht dieser Artikel, der bereits 2006 erschienen ist, um den Ausstellern ein besseres Verständnis der Abläufe zu geben.

Was geht im Kopf eines Richters vor, der eine Klasse mit Hilfe des vergleichenden Richtsystems richtet? Der verstorbene Major Pat Maxwell, der auf über 50 Jahre Erfahrung mit diesem Richtsystem zurückblickte, erläuterte in einem Artikel 2006, was er denkt und macht, während er im Ring steht.

DER URSPRUNG

Das Englische Richtsystem entwickelte sich aus den Landwirtschaftsschauen, die ihren Ursprung im 18. Jahrhundert in England hatten, als man die Nutztiere bewertete, um sie züchterisch zu verbessern. Diese Schauen beinhalteten auch Pferde, und arabische Pferde wurden damals speziell zur Verbesserung der Zucht importiert. Das System besteht darin (und tut dies noch immer), daß ein Richter jedes Tier mit allen anderen vergleicht und den Sieger anhand einer Reihe von Kriterien auswählt, die ihm seine eigene Erfahrung diktiert. Dieses System funktioniert auch heute noch sehr gut, wie andere Richtsysteme auch, solange der Richter fair ist.
Wollte man allein aufgrund des ersten Eindrucks vergleichend richten, dann wäre richten wirklich einfach: Mann führt einfach die Pferde in den Ring, einmal herum, reiht sie auf und vergib die Schleifen – fertig. Das aber, würde der Sache nicht gerecht werden und der Zweck dieses Beitrags soll sein, eine Methode, die funktioniert und praktisch ist, näher zu erläutern.

DIE INNERE EINSTELLUNG

Keines der beiden System sollte als überlegen betrachtet werden, die Qualität des Richtens an diesem Tag ist, was zählt. Beide Systeme funktionieren gut mit ordentlich ausgebildeten und ehrlichen Richtern. Der Unterschied vom Blickpunkt des Richters aus betrachtet ist, daß jedes der beiden Systeme eine andere gedankliche Einstellung dazu von seitens des Richters bedarf. Ich will hier nicht auf das 5 Kriterien 10/20 Punkte-System eingehen, das ist den Araber Journal-Lesern bestens bekannt und wir wissen, daß jeder Richter ein Pferd benoten sollte, indem er es mit seinem eigenen „inneren“ Ideal vergleicht. Im Englischen System vergleicht der Richter aber jedes Pferd mit jedem anderen Pferd im Ring, und nicht gegen ein Ideal. Es gibt keine Punkte, nur einen Rangliste. Dieses effektiv und fair zu gewährleisten, ist das Problem. Der Richter muß daher ein System haben. Es gibt aber keine schriftlich niedergelegten Regeln darüber – als Richter wird von einem erwartet, daß man sein eigenes System hat und dieses fair und gründlich anwendet.

Judging Systems - Tabelle 1 DEU

In der Praxis verwenden die meisten Richter das gleiche Grundprinzip, das darauf abzielt, jedes Pferd unter verschiedenen Gesichtspunkten zu betrachten, oder indem man es eine bestimmte Aufgabe erfüllen läßt. Dabei kann zu jedem Zeitpunkt die Reihenfolge der Rangierung – wenn nötig – geändert werden, damit es leichter ist, jedes Pferd mit dem anderen zu vergleichen, das heißt Seite an Seite zu sehen. Der Schauring wird also sozusagen zur Arbeitsfläche des Richters, um Pferde miteinander vergleichen zu können. Man kann keine zwei Pferde miteinander vergleichen, die je am entgegengesetzten Ende des Rings stehen. Die Pferde werden also aufgereiht, eines neben dem anderen, und stehen in der Reihenfolge wie der Richter es wünscht, obwohl ich auch Richter gesehen habe, die bei 40 Pferden in der Klasse mit dem Ende der Reihe angefangen haben, das heißt mit den Pferden, die am schlechtesten waren, um einen besseren Blick auf die guten zu haben. Das Entsetzen auf den Tribünen war sehenswert, bis endlich der Groschen gefallen ist!
In den letzten Jahren, insbesondere durch die große Bedeutung des Trabs auf ECAHO-Schauen hat sich das allgemein akzeptierte englische System etwas geändert und die Vorführer können auch gebeten werden, mit ihren Pferden im Trab in den Ring zu kommen und/oder nach der ersten Runde im Schritt eine individuelle Trabrunde im Ring zu drehen. Der Richter berücksichtigt dieses dann in seiner ersten Rangierung. Selbstverständlich werden Pferde in jedem System in Bezug auf Typ, Gebäude und Bewegungen bewertet, wobei dem Typ Priorität gewährt wird.
Ein effizienter und in seiner Persönlichkeit dominierender Ringsteward ist wichtig um Pferde und Vorführer in der gewünschten Reihenfolge und am richtigen Platz zu halten. Der Richter kann nicht beides, richten und den Verkehr lenken. Bei diesem System ist der Ringsteward so wichtig wie der Richter und beide müssen als Team arbeiten.

Judging Systems - Tabelle 2 DEU

SCHLUSSFOLGERUNG

Wo es sich um kleinere Schauen handelt, bietet das Englische Richtsystem Vorteile, weil es zeit- und kosteneffizienter ist. Die große Mehrheit der Schauen in England werden mit diesem System gerichtet. Könnte es sein, daß die größere Anzahl der Schauen in England etwas mit dem Richtsystem zu tun hat? Es hat sicherlich Vorteile für den kleinen Schauorganisator, und damit für den kleinen Züchter/Besitzer.
Pat Maxwell
(Nachdruck aus Araber Journal 8/2006)