Das Pferd ganzheitlich betrachtet

Züchter-Seminar mit Urs Aeschbacher

Am 11. Juni trafen sich rund 20 interessierte Züchter und Araberfreunde zu einem Beurteilungsseminar mit Urs Aeschbacher. Wer aber glaubte, dass er hier zum “Fehlergucker” geschult, oder in die “Psychologie der Richtsysteme” eingeführt würde, der hatte sich geirrt. Es war viel interessanter!
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Eines der Hauptanliegen von Urs Aeschbacher war es, den Teilnehmern nahezubringen, das Pferd ganzheitlich zu betrachten und zwar insbesondere mit Hinblick auf seinen Verwendungszweck. Was die Rassemerkmale eines arabischen Pferdes sind, das hatten die Teilnehmer in einem Brainstorming rasch selbst zu Papier gebracht. Hierunter fallen der quadratische Rahmen und die Trockenheit; die leichtfüssigen, flachen (ökonomischen) Bewegungen; Ausdauer und Genügsamkeit, sowie Adel, Stolz, Intelligenz und Menschbezogenheit. Das sind die Merkmale, mit denen sich der Araber von anderen Pferderassen abgrenzt und die in der Zucht und durch die Selektion erhalten werden müssen. Hinzu kommen dann verschiedene Rasseausprägungen aufgrund unterschiedlicher Verwendungszwecke: also zum Beispiel Schaupferd, Rennpferd, Distanzpferd, Freizeitpferd. Diese Gebrauchstypen ergeben heute die Typenvielfalt des arabischen Pferdes.
Urs Aeschbacher stellte das “Assessment Framework” vor: Hierbei wird beim “Typ” in Rassetyp, Geschlechtstyp und Gebrauchstyp unterschieden und die Frage gestellt, in wieweit das Pferd allen oder nur einigen dieser “Typen” entspricht. Ein weiterer Punkt ist die Gestalt oder das Exterieur des Pferdes, wobei es vor allem um die Verhältnisse einzelner Längen, Breiten, Höhen, Tiefen zueinander geht, also z.B. die Tiefe des Körpers (Lende und Brust) im Verhältnis zur Höhe und Länge des Pferdes, etc., es geht also insgesamt um die Harmonie und nicht um die “Zerlegung” in Einzelteile und deren Beurteilung. Als dritter Punkt folgt die “Struktur”, die sich aus den einzelnen Skelett-Teilen, Gelenken, Muskeln, Bänder und Sehnen ergibt und im großen und ganzen für alle Reitpferderassen sehr ähnlich ist. Der vierte Punkt sind die Bewegungen Schritt, Trab und Galopp und deren rassespezifische Ausprägung, z.B. flache, raumgreifende Bewegungen des Arabers im Gegensatz zu hoher Vorhandaktion mit wenig Raumgriff des Iberischen Pferdes. Großen Wert legt Urs Aeschbacher auf das Auge – nicht dessen Form sondern dessen Ausdruck – das Auge spiegelt die Seele eines Pferdes wider und sagt viel über seinen Charakter und sein Temperament aus. Hinzu kommt dann als letzter Punkt die Konstitution: Muskelbildung und -beschaffenheit, Härte der Bänder und Sehnen, aber auch Funktionalität von Herz und Lunge. Die Beschaffenheit dieser “inneren Werte” sind nur unter Belastung zu erkennen, wie z.B. im Renntraining.
Ein weiterer Punkt des theoretischen Teils des Seminars war das Pedigree und was man darin “lesen” kann. Großer Wert wird in der Araberzucht – nicht nur von den Beduinen – ja auf die Mutterlinie gelegt. Hat die Stutenlinie (d.h. Mutter, Großmutter, etc.) mütterlicherseits bekannte Pferde und Leistungsträger hervorgebracht? Sind die Väter, also Vater und Vatertiere der Mutterlinie, bedeutende Vererber (“chef du race”)? Wie verhält es sich mit dem kaum fassbaren Phänomen des “Nicks”, d.h. der Verträglichkeit von Hengst- und Stutenlinie? Auf welche Tiere wurde ingezüchtet oder outgecrosst? Und schließlich: Stimmt das Bild, das man sich aufgrund des Pedigrees von einem Pferd gemacht hat schlußendlich mit der Wirklichkeit überein? Eines wurde klar: Es bedarf großer Erfahrung, ein Pedigree richtig zu lesen. Und leider liegen in der Vollblutaraberzucht nicht genügend erfasste (Leistungs-)Daten vor, um eine wissenschaftlich fundierte Pedigree-Analyse vorzunehmen, wie dies in der Englisch Vollblutzucht der Fall ist.
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Nach der Theorie gingen die Teilnehmer daran, das gelernte in die Praxis umzusetzen. Franziska Aeschbacher zeigte eine Reihe ihrer Trainingspferde – Araber, wie auch Englisch Vollblüter. Hier konnten nun die Teilnehmer das “Assessment Framework” und die Pedigree-Analsyse anwenden, aber wie sich herausstellte, ist dies gar nicht so einfach und so mancher kam sich etwas verloren vor, da man doch sonst gewohnt ist, in erster Linie gute und schlechte Punkte gegeneinander abzuwägen und Noten zu vergeben. Hier hätte bei den ersten Pferden eine gemeinsame Anwendung des “Assessment Frameworks” in der Praxis geholfen, das Erlernte umzusetzen.
Durch den anhaltenden Regen leider beeinträchtigt, konnten die Kursteilnehmer den Rennpferden auf der Bahn unter dem Sattel zusehen, wobei der Unterschied zwischen den beiden Vollblutrassen deutlich wurde. Franziska Aeschbacher erklärte enthusiastisch, wie man ein Rennpferd motiviert und diese Motivation auch durch das Training hindurch aufrecht erhält, worin der Unterschied im Training von englischen und arabischen Vollblütern liegt und überhaupt, was die Faszination Rennsport ausmacht.
Der dritte und letzte Teil fand dann auf dem heimatlichen Gestüt der Aeschbachers, Nile Arabians in Brenles, statt, wo Rennpferde und Schaupferde verglichen wurden. Auch hier diskutierten die Teilnehmer wieder engagiert was ein Schaupferd ausmacht, was zu viel ist (z.B. zu exotisch, zu viel “Typ”), etc. Die Diskussionen wurden noch beim Aperó und Kuchen fortgesetzt, bis sich auch die letzten Teilnehmer – manche waren sogar aus Deutschland angereist – auf den mitunter langen Heimweg machten.
Gudrun Waiditschka