Tibor von Pettkó-Szandtners Heimkehr nach Bábolna

„Ich bitte vom Herrn des Himmels nur eines, wenn ich sterbe, soll ich hier an der bábolner Weide beigesetzt werden, dass ich das Trommeln der Hufe meiner Lieblings-pferde auch von dort hören kann.“

Tibor von Pettkó-Szandtner

Tibor von Pettkó-Szandtner war einer der begnadetsten Pferdezüchter, die die Welt des arabischen Pferdes kennt. Er baute in jeweils nur zehn Jahren die Gestüte Bábolna und El Zahraa auf und führte sie zu Weltruhm. Sie wurden durch seine züchterische Tätigkeit zum Urquell, aus dem Generationen von Privatzüchtern schöpften.

Es war ein herrlich goldener Herbsttag im Nationalgestüt Bábolna, als am 29. September ein Staatsakt um die Heimführung der Urnen von Tibor Pettkó-Szandtner und seiner Frau Margit gefeiert wurde. 57 Jahre hat es gedauert, bis der lang gehegte Wunsch der ungarischen Araberpferde-Züchter in Erfüllung gehen konnte. Im Beisein von zwei Ministern aus der derzeitigen ungarischen Regierung, dem Landwirtschaftsminister Dr. István Nagy und dem Verteidigungsminister Dr. Tibor Benkõ, wurden die sterblichen Überreste in der Kirchenmauer neben dem Eingang beigesetzt. Mit militärischen Ehren fand die eindrückliche Feier vor der von Pettkó-Szandtner in den 1930er-Jahren erbauten und jetzt restaurierten evangelisch-reformierten Kirche statt. Besonders zu erwähnen ist auch das restaurierte Chorfenster, das bei der Eroberung Ungarns im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde.
Jubiläumsfeier in Bábolna
Schon zur 200 Jahrfeier 1986, als Bábolna sein langjähriges Bestehen feierte, hatte Dr. Ekkehard Frielinghaus, der damalige Vorsitzende der Internationalen Shagya-
Araber Gesellschaft in seinem Vortrag zur Geschichte dieses großartigen Gestüts, die Erstellung einer Skulptur von Pettkó-Szandtner gefordert. Sie sollte im Innenhof neben Jóseph Csekonics und Mihály Fadlallah El Hedad einen würdigen Platz finden. Der damalige Direktor Dr. Lászlo Papócsi hat diesem Wunsch 1992 Rechnung getragen und im Rahmen eines ISG-Europachampionats eine sehr schöne Würdigung organisieren lassen.
Der Wunsch zur Umbettung
Tamás Rombauer, der heutige Gestütsleiter von Bábolna und Verwandter Pettkó-Szandtners, hatte sich seit den vergangenen 90er-Jahren dafür eingesetzt, dass Pettkó-Szandtners Wunsch in Erfüllung gehen konnte: „Ich bitte vom Herrn des Himmels nur eines, wenn ich sterbe, soll ich hier an der bábolner Weide beigesetzt werden, dass ich das Trommeln der Hufe meiner Lieblingspferde auch von dort hören kann.“
Von 1959 bis zu seinem Tode im Jahr 1961 wohnte er auf dem Gestüt S.K.H. Ludwig Prinz von Bayern in einem Haus der Familie Wittelsbach in Leutstetten. Er wurde auf dem Starnberger Waldfriedhof beigesetzt. Auch das Kreuz, das dort bei seinem Grab stand, steht jetzt bei der Kirche in Bábolna.
Vom Bauernsohn zum Buchautor
Geboren wurde Tibor Pettkó-Szandtner am 20. Juni 1886 in der Bergmanns- und Weinbauernsiedlung Bazin. Der Ort liegt etwa 20 km nordöstlich der slowakischen Hauptstadt Bratislava am Fuss der Kleinen Karpaten. Tibors Vater Szandt-ner stammt aus einem deutschen evangelisch-reformierten Adelsgeschlecht, das seit 1526 in Oberungarn ansässig war.
Seine Mutter, geborene Pettkó, gehörte zu einer Familie aus Trencsén. Tibor ging erst in Pressburg und nach dem Ersten Weltkrieg in Bratislava zur Schule; dort zeigte sich schon bald seine Liebe zu Tieren und sein Verständnis für Pferde, mit denen er im Landgut seines Vaters arbeitete. Danach wechselte er in die berühmte älteste landwirtschaftliche Hochschule Europas, in das ‘Georgikon’ nach Keszthely an der Westseite des Balaton, die er erfolgreich absolvierte. Nach seinem Landwirtschaftsstudium war Tibor in verschiedenen privaten und staatlichen Gestüten/Landgestüten tätig, unter anderen auch im königlich-ungarischen Gestüt Kisbér. Anlässlich eines Aufenthaltes in Deutschland besuchte er 1925 die Reit- und Fahrschule in Hannover. Von 1920 bis 1927 war er als Offizier dem Kommandanten des königlich-ungarischen Gestütes Bábolna, Oberst Artúr Hajnyi, zugeteilt. Von diesem Jahr an erschienen von ihm in der ungarischen Zeitschrift St. Georg eine Reihe von Fachbeiträgen zur Technik des Fahrens mit Pferden. Etwa im Jahr 1928 wurde er Leiter des Fohlenhofs der Armee, der bei Kiskunlacháza, etwa 60 km südlich Budapest eingerichtet wurde. Dort schrieb er 1930/31 sein bedeutendes Buch über Vergangenheit und Gegenwart der ungarischen Fahrkunst ‘A magyar kocsizás’ (Fahren auf ungarische Art).
Direktor des Gestüts Bábolna
1932 wurde durch die ungarische Regierung der inzwischen zum Oberst beförderte Tibor Pettkó-Szandtner zum Kommandanten des Gestütes Bábolna bestimmt. Mit viel Passion und Schwung übernahm er die neue Tätigkeit und damit zugleich einen auch als Folge des Ersten Weltkrieges vor allem baulich und personell immer noch
vernachlässigten Betrieb. Er kümmerte sich zunächst um die farbliche und bauliche Rekonstruktion des Gesamtbetriebes; in deren Rahmen ließ er das später ‘Heldentor’ genannte Ehrenmal für die im Weltkrieg gefallenen Betriebsangehörigen in den westlichen Stallbereich einbauen, im Nordteil des Parkes eine kleine Kapelle einrichten und den ehemals im Gestüts-Innenhof befindlichen offenen Reitplatz nach außen verlegen. Dadurch schaffte er Platz für das heutige Rondell vor dem Szapáry-Schloß und für das bronzene Pferdestandbild von György Vastagh jun.
Die züchterischen Erfolge
Durch seinen immensen Fleiß und sein großes Geschick gelang es Tibor Pettkó-Szandtner den internationalen Ruf des Gestütes in Bábolna ständig zu erweitern. Sein besonderes Verdienst aus heutiger Sicht war die fachlich hochqualifizierte züchterische Pflege und Förderung des ihm anvertrauten Shagya-Araber- und Voll-
blut-Araber-Bestandes, der in den Jahren seines Amtes als Leiter des Gestütes Bábolna eine bis dahin nie gekannte Güte erreicht hatte. Dazu kam die Einführung von Leistungsprüfungen unter dem Sattel und vor dem Wagen, die er durch eigenes Vorbild wirksam unterstützte. Allein die Sattelkammer des Gestütes war sehenswert. 1933 gehörten 29 AV-Stuten, 81 Araberrasse-(heute Shagya-Araber-)Stuten und 39 Lipizzaner-Stuten zum Gestütsbestand. Zehn Jahre darauf zählte es 59 AV-Stuten beziehungsweise 169 Araberrasse-Stuten; damit war Bábolna die größte Zuchtstätte für arabische Pferde in Europa und umfasste 4350 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche.
Der Zweite Weltkrieg
Inzwischen war im Jahre 1943 Oberstleutnant Detlev von Arentschildt zum Leiter von Bábolna bestimmt worden. Tibor Pettkó-Szandtner wurde zum General befördert und avancierte zum Verantwortlichen für die gesamte ungarische Pferdezucht im Ministerium für Landwirtschaft in Budapest. Doch damit hatten allmählich seine größten Sorgen begonnen: Der verlorene Krieg zeichnete sich bereits ab und die Ostfront rückte näher an Ungarn heran. Am 23. September 1944 hatte die sowjetische Armee schließlich die ungarische Grenze überschritten und vom 14. bis 19. Oktober fand eine der gewaltigsten Panzerschlachten des ganzen Krieges im Osten Ungarns bei Debrecen statt, nach welcher sich am 24. Dezember 1944 der Ring um Budapest endgültig schloss. Das Gestüt Debrecen, das sich in der Hortobágy Puszta mit etwa 23 000 ha Weideland nebst fast 10 000 Rindern,
20 000 Schafen und um 2 000 Nonius-Pferden befand, wurde dabei überrollt und völlig vernichtet. Das mag den Ausschlag dafür gegeben haben, dass von Pettkó-Szandtner versuchte, den in Ungarn noch vorhandenen wertvollen Zuchtpferdebestand um jeden Preis vor weiteren Kampfhandlungen und der zu erwartenden sowjetischen Besatzung zu bewahren.
Die Flucht nach Süddeutschland
Seine jahrelangen persönlichen Beziehungen zu deutschen Freunden und Bekannten nutzte er zur Unterbringung der ungarischen Pferde aus den Staatsgestüten in für die Sowjetarmee nicht erreichbaren Zonen Deutschlands. Vier Güterzüge mit je etwa 40 Waggons brachten mit Einverständnis des Oberkommandos der Wehrmacht noch im Dezember 1944 (Deutschland war in Ungarn damals Besatzungsmacht) 400 Gestütspferde aus Bábolna nach Süddeutschland in das leerstehende Remontedepot Bergstetten etwa 10 Kilometer nordöstlich dem bayerisch-schwäbischen Donauwörth.
Das Schicksal der Araberpferde
Am 20. April 1945 wurde auch dieses Gebiet Deutschlands von den alliierten Truppen erreicht. Daraus ergaben sich allmählich große
Schwierigkeiten für die dort einquartierten Menschen und Pferde. Das Schlimmste war das Verschleudern der angeeigneten Zuchtpferde durch amerikanische Offiziere, worüber Tibor Pettkó-Szandtner berichtet hat. Weiterhin gehört dazu, dass die Behring-Werke in Marburg an der Lahn Pferde zur Serumgewinnung suchten, wofür auch 14 Araberstuten aus Bábolna beschlagnahmt wurden. Durch Tausch gegen Kaltblutpferde konnten sie jedoch für die Araberzucht erhalten werden, weil sie von der polnischen Gestütsverwaltung ausgelöst wurden. Am 13. Dezember 1951 sind sie aus Polen wieder nach Bábolna zurückgekehrt. Die amerikanische Besatzungsmacht setzte im Verlaufe des Jahres 1947 sowohl Tibor Pettkó-Szandtner als auch Detlev von Ahrentschildt als unzuverlässige Leiter ab; sie wurden durch ‘niedrigere Chargen’ ersetzt.
Die Rückkehr der Bábolnapferde
Im Dezember 1947 konnten jedoch die ersten der evakuierten ungarischen Pferde wieder in ihre Heimat zurückkehren, zunächst 60 arabische Stuten mit 40 Fohlen und 50 Lipizzanerstuten nach Bábolna; zwischen Oktober 1947 und Januar 1948 gingen auch die Pferde nach Kisbér und Mezöhegyes wieder zurück. Von den nicht nach Deutschland verlegten Pferden fanden sich 40 Araber und 20 Lipizzaner in Ungarn wieder ein. Allerdings waren dort unter anderem die Gestütsanlagen sämtlich ausgeräumt oder weitgehend zerstört, wie beispielsweise in Bábolna. Belastend war weiterhin, dass – bedingt durch die politischen Verhältnisse – die mit ihren Pferden evakuierten Gestütsmitarbeiter in ihrer Heimat nicht mehr willkommen waren, sondern als politisch verdächtig galten, weil sie ‘aus dem Westen’ kamen. Von der Heimat verstoßen verließ Pettkó-Szandtner daraufhin Ende 1947 Deutschland und verbrachte die Nachkriegsjahre mit seiner Ehefrau auf dem Privatgestüt Gåvetorp von Dr. Arvid Aaby Ericsson bei Alvesta in Schweden.
Gestütsleiter der ägyptischen R.A.S.
Für alle Beteiligten war es ein großes Glück, dass Mohamed Taher Pascha, Präsident der ägyptischen Royal Agricultural Society (R.A.S.) 1948 per Telefon General Tibor Pettkó-Szandtner ab 1949 als Leiter für das damals noch königliche Gestüt Kafr Farouk bei Kairo verpflichten konnte. Beide kannten sich schon durch einen Besuch von Taher Pascha in Bábolna vor dem Zweiten Weltkrieg, und dem Pascha war die erfolgreiche Tätigkeit von Tibor Pettkó-Szandtner als Direktor von Bábolna sowie als Chef der ungarischen Pferdezucht aus eigener Kenntnis bekannt. Fremde aus Europa waren damals im vorrevolutionären Ägypten aus politischen Gründen nicht gern gesehen und so galt der General zunächst als persönlicher Gast König Farouks von Ägypten. Er übernahm nach der Revolution 1949 das inzwischen El Zahraa genannte Gestüt Kafr Farouk und begann mit seiner Arbeit. Sie bestand zunächst in der Neuorganisation des Gestütes zu einer modernen Pferdezuchtstätte, die durch entsprechende Geldmittel aus Ägypten gefördert wurde. Trotzdem gab es große Schwierigkeiten, vor allem weil das Prinzip ‘Ordnung’ erst nach und nach auf das notwendige Verständnis stieß. Tibor hat sich darüber bitter beklagt. Erst allmählich konnte er sich mit seinen Auffassungen durchsetzen, dann allerdings mit großem Erfolg; das brachte El Zahraa und damit zugleich der ägyptischen Araberzucht ihre berechtigte Anerkennung.
Pettkó-Szandtner in El Zahraa
Pettkó-Szandtner hat er es fertiggebracht, mit großem Fleiß und der unerlässlichen Fachkenntnis den vorhandenen Bestand an ehemals dem König gehörenden Zuchtpferden (R.A.S.) im Land zu sammeln, sie durchzumustern und dafür zu sorgen, dass die ihm abstammungs- und exterieurs-seitig optimal erscheinenden Pferde planmäßig verpaart wurden. Ein Stutbuch von Kafr Farouk war schon 1948 fertiggestellt worden. Als Hauptbeschäler wählte er die Schimmel Nazeer, *1934, und Sheikh El Arab,*1933. Er führte ein persönliches, handgeschriebenes Stutbuch, das heute zum wertvollsten Besitz der Egyptian Agricultural Organization (E.A.O.) gehört und die individuelle Bewertung aller Zuchtpferde von El Zahraa während seiner Amtsperiode enthält. So galt in den zehn Jahren seiner Tätigkeit in El Zahraa sein Hauptaugenmerk der dortigen Zucht und Veredelung im Sinne des klassischen arabischen Pferdes der Wüste, wie es von den Beduinen bekannt war, und dies machte das ägyptische Gestüt zur Quelle besten arabischen Blutes. Die Qualität seiner Pferde und das gepflegte Äussere von El Zahraa sprachen sich allmählich auch ausserhalb Ägyptens in der Araberszene herum. 1959 kehrte das Ehepaar Pettkó-Szandtner wieder nach Deutschland zurück.
Bruno Furrer