Tierschutz im Pferdesport – und an Araberschauen

Unter dem Titel „Tierschutz im Pferdesport“ hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) neu überarbeitete Leitlinien herausgebracht, die einige Zuchtverbände zu Satzungsänderungen veranlassen dürften – auch die Araberverbände. Denn diese Leitlinien haben nun erstmals „Wirkung“ gezeigt: Zur Körung des Holsteiner Verbandes Ende Oktober wollte nach Medienberichten die Veterinäraufsicht der Stadt Neumünster rund ein Drittel der Hengste nicht zulassen, weil sie zu jung sind!

In dem genannten Papier „Tierschutz im Pferdesport – Leitlinien zu Umgang mit und Nutzung von Pferden unter Tierschutzgesichtspunkten“ wird der früheste Ausbildungsbeginn auf ein Alter von 30 Monaten (2,5 Jahre) festgelegt. Die Hengste der Holsteiner Körung stammen alle aus dem Jahrgang 2019 und waren somit an der Körung (selbst wenn sie im Januar 2019 geboren wurden) maximal 34 Monate alt, d.h. im Umkehrschluß: Alle Pferde, die nach dem 28.4. geboren wurden, wären nicht startberechtigt. Und darin ist die Ausbildungszeit ja noch gar nicht berücksichtigt, denn es will vermutlich keiner behaupten, dass das Freispringen, das Bestandteil der Körung ist, keiner „Ausbildung“ bedarf.

Nach einem Bericht der „Kieler Nachrichten“ vom 27.10. hatte also „die Veterinäraufsicht der Stadt Neumünster die neuen Leitlinien knallhart ausgelegt und viele der angemeldeten Pferde gesperrt.“ Der Holsteiner Verband hat daraufhin beim Verwaltungsgericht Schleswig einen Eilantrag gestellt, und schlußendlich hat man sich auf einen Kompromiß geeinigt: Der Stichtag (Geburtstag) wurde vom 28. April auf den 16. Juni 2019 verschoben. Damit konnten dieses Jahr alle Hengste antreten, es ist aber auch klar, dass dies nicht dauerhaft so machbar ist, denn nach diesem Vorfall kann sich kein Verband, kein Züchter mehr darauf hinausreden, er habe noch nie etwas von diesen Leitlinien und dieser Altersbegrenzung bezüglich Training gehört. Und das ist gut so.

Auch der VZAP wird seine Regularien überarbeiten müssen, denn hier ist das Mindestalter eines Hengstes zur Vorstellung bei einer Verbandshengstschau (VHS) oder Körung zwei Jahre (!) – beim ZSAA sind es drei Jahre – wobei (vermutlich) in beiden Fällen der Jahrgang zählt, nicht das Alter nach Monaten. Allerdings fordert der VZAP nur bei der Körung, nicht aber bei der VHS ein Freispringen, dennoch bleibt zu überlegen, ob das „Schautraining“, das manchen Pferden auch für eine Zuchtveranstaltung wie die VHS oder Körung zugemutet wird, mit den BMEL-Leitlinien konform geht.

Weiter heißt es in den Leitlinien: „Der Beginn der zielgerichteten Ausbildung zum vorgesehenen Nutzungszweck ist für Pferde, insbesondere Jungpferde, mit physischen und psychischen Belastungen verbunden. … Täglich mehrstündige freie Bewegung … sind sicherzustellen. Es wird empfohlen, auch hier die Pferde in Gruppen (≥ 2 Pferde) zu halten. … Jungpferde (bis 30 Monate) müssen in Gruppen gehalten werden.“ – „Pferde früher als im Alter von 30 Lebensmonaten in die zielgerichtete Ausbildung zum vorgesehenen Nutzungszweck zu nehmen, verletzt in der Regel die dargestellten Grundsätze.“ Zum letzten Passus sei noch angemerkt, dass diverse Vertreter von Tierschutzverbänden, von der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz e. V., und einige Landestierschutzbeauftragten der Meinung sind, dass „weitere Ausnahmen eines früheren Beginns aus tierschutzfachlicher Sicht nicht zu tolerieren sind.“ Sie hatten sich dafür stark gemacht, den Passus „in der Regel“ aus dem Text zu streichen.

Was ist denn nun „tierschutzwidrig“ bei einer zu frühen „zielgerichteten Ausbildung“. Überlegen wir dazu, was dies für das junge Pferd bedeutet und gehen wir davon aus, dass es vom Züchter/Besitzer dazu in einen Trainingsstall abgegeben wird: Transport, neue Bezugspersonen, neue Pferdekameraden, Futterumstellung, andere Tagesroutine – all dies bedeutet Stress für ein junges Pferd, insbesondere wenn man bedenkt, dass manche Pferde bis zu einem Jahr brauchen, bis sie in einem neuen Stall „angekommen“ sind und sich rundum wohl fühlen. Wenn wir jetzt noch zusätzlich die „Besonderheiten“ des Show-Trainings bei Arabern dazunehmen, wie Einzelboxenhaltung (wegen Verletzungsgefahr), wenig bis kein Weidegang mit Kameraden (wegen Verletzungsgefahr), häufiges Einbandagieren (kann zu Überhitzung der Sehnen führen), eiweißreiches Futter (kann zu Magengeschwüren führen), Scheren und Clippen (stört die Thermoregulation), dann ist klar ersichtlich, dass dieses „Training“ ein großer Eingriff in die natürliche Entwicklung eines Jungpferdes ist. Von tierschutzwidrigen Trainingsmethoden soll hier erst gar nicht die Rede sein.

Aber was ist denn dann noch erlaubt – kann man mit seinem Fohlen oder Jungpferd gar nichts anderes mehr machen, als es mit anderen Pferden auf eine Weide zu stellen? Es wird in den Leitlinien ausdrücklich darauf hingewiesen, dass wenn „das Fohlen mit dem Menschen vertraut ist, es an das Putzen, an Halfter, das Führen, erste Hufpflegemaßnahmen u. a. gewöhnt wird.“ Dieses „Fohlen-ABC“ fällt also nicht unter „Training“, sondern Erziehung und Gewöhnung – zumal es ja auch zuhause in der gewohnten Umgebung stattfindet.Ein Züchter, der mit seiner Stute mit Fohlen bei Fuß dann auf eine Zuchtschau (z.B. Fohlenprämierung) fährt, die i.d.R. dezentral stattfindet, damit der Transportweg nicht allzu lang ist, hält den Stress für das Fohlen so gering wie möglich, wenn dieser „Ausflug“ nur einen Tag dauert, die Bezugspersonen diesselben sind, und das Fohlen am Abend wieder im heimatlichen Stall ist. Dies ist m.E. zumutbar, und die Fohlen werden durch einen solchen „Ausflug“ sogar selbstbewußter, weil sie etwas „erlebt“ haben, aber nicht überfordert wurden. Wer das Fohlen allerdings zu einem (Schau-)Trainer schickt, um es für eine „Show“ (z.B. Nationales Championat) nach obigen Beschreibungen vorbereiten zu lassen, der handelt m.E. tierschutzwidrig, denn in den Leitlinien heißt es: „Gezieltes Training … ist für Fohlen und Jährlinge nicht entwicklungsgerecht und deshalb tierschutz-relevant“.

Das Gesagte gilt auch für Jährlinge und Zweijährige, bis zur Vollendung des 30. Lebensmonats. Daher muß man auch hier m.E. differenzieren zwischen „Profi-Training“ außer Haus und „Amateur-Training“ zuhause. Ersteres bedeutet erhöhte Stresslevel aufgrund des Ortswechsels und aller oben beschriebenen Kriterien, letzteres kann – wenn nicht exzessiv betrieben – unter Halfterführigkeit und Erziehung des Jungpferdes laufen. Die Zeiten, wo ein Züchter seine Jungpferde für den All Nations Cup selbst trainiert und vorstellt, sind aber vorbei – es sei denn, er ist selbst Profi-Trainer. Daher deutet für mich alles darauf hin, dass eine Vorstellung an diesen „High-End Shows“ entsprechend dieser Leitlinien nicht möglich ist. Dagegen kann eine Vorstellung an einer Zuchtschau oder Amateur-Schau durchaus noch im Rahmen der Leitlinien liegen.

Wie kann man denn nun feststellen, was Sache ist? Das ist in der Tat nicht so einfach, denn die Leitlinien sind ja kein „Gesetz“. In einem Interview fragte die FN-aktuell den Generalsekretär der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN), Soenke Lauterbach, wie rechtsverbindlich diese Leitlinien sind. Seine Antwort: „[In diesen Leitlinien] wird das Tierschutzgesetz für Pferdesport und Pferdezucht näher ausgelegt. Die Leitlinien sind kein Gesetz, sollen jedoch wie ein antizipiertes Sachverständigengutachten angewendet werden. Darunter versteht man ein Gutachten, das unabhängig von einem konkreten Einzelfall angefertigt wird. Die Leitlinien dienen als Orientierungshilfen und werden gerade von Justiz und Behörden, etwa von den Amtstierärzten, als solche herangezogen.“ Und weiter sagt Soenke Lauterbach: „Der Bereich Zucht der FN ist mit unseren Zuchtverbänden gerade dabei, vor dem Hintergrund der neuen Leitlinien das Kör-und Vorbereitungssystem hinsichtlich Vorbereitung, Vorauswahl, Dauer und Intensität zu überdenken.“ Wie wichtig und nötig das ist, hat der Vorfall in Neumünster gezeigt.

In Neumünster wurde ein Exempel statuiert, und gleichzeitig ein kleines Hintertürchen geöffnet. Dieses Hintertürchen wird sicher kein zweites Mal aufgemacht. Was also bedeutet dies für unsere „High-End Shows“, und die Organisation des All Nations Cups? Können wir also weitermachen, wie bisher und abwarten, ob irgendwann ein Amtsveterinär kommt, und – ähnlich wie in Neumünster – alle Pferde bis zu 30 Monaten sperrt? Man stelle sich diesen Eklat vor! Und wer will dann noch das organisatorische Risiko übernehmen, angesichts dessen, was da auf einen zukommen könnte? Andere Zuchtverbände machen sich offensichtlich ernsthafte Gedanken – hoffentlich unser Zuchtverband auch!
Gudrun Waiditschka

Die „Leitlinien zu Umgang mit und Nutzung von Pferden unter Tierschutzgesichtspunkten“ stehen auf der Seite www.pferd-aktuell.de/ausbildung/pferdehaltung/tierschutz als Download zur Verfügung

Interview mit Soenke Lauterbach, Generalsekretär der FN:
https://www.pferd-aktuell.de/news/aktuelle-meldungen/fei—fn—dokr/neu-erschienen-bmel-leitlinien-tierschutz-im-pferdesport-

Kieler Nachrichten vom 25.10. und 27.10.2021 zur Holsteiner Körung
https://www.kn-online.de/Region/Neumuenster/Holsteiner-Koerung-in-Neumuenster-Hengste-laut-Tierschutzverordnung-zu-jung

Holsteiner Körlot (mit Altersangabe)
https://holsteiner.auction/de/auktionen/51ste-holsteiner-koerung

Interview mit Dr. Klaus Miesner, Leiter der FN-Abt. Zucht
https://www.trakehner-verband.de/en/veranstaltungen/hengstmarkt/internationaler-trakehner-hengstmarkt-2021/die-neuen-leitlinien-und-die-koerungen-der-zukunft/

Ein Artikel aus Der Trakehner / Ausgabe April 2021:
Novellierung des Körsystem – von Neel-Heinrich Schoof