Eine Stimme für die Pferde

Editorial Ausgabe 3/2023

Mit steter Regelmäßigkeit tauchen nach den großen Schauen – und der All Nations Cup ist da keine Ausnahme – Videos auf den Social Media Kanälen auf, die die Schattenseite des „Show Glamours“ zeigen. Da ist zum Beispiel ein Jährlingshengst im Eingangsbereich der Aachener Albert-Vahle-Halle, ein Helfer puscht ihn mit wilden Peitschenhieben in die Luft auf – angeblich braucht er das, damit er sich richtig zeigt! In Wirklichkeit aber ist er völlig durch den Wind und verängstigt, man könnte auch sagen, er ist „eingeschüchtert“.
Und genau damit sind wir dann eigentlich bei einem Regelverstoß. Denn in den Schauregeln (Rules for Conduct of Shows) heißt es zum Thema Tierquälerei (§ 33): Übermäßiger Peitschengebrauch, übermäßiger Lärm, übermäßiges Kreiseln des Pferdes, Einschüchterung, der Einsatz von Elektroschockgeräten und das Zufügen von Schmerzen jeglicher Art sind … verboten. Missbräuchliches „Shanking“ (d.h. das ruckartige Ziehen an der Führkette mit Wirkung auf den Nasenriemen) ist nicht gestattet.“ Für mich fällt die „Androhung“ von Peitschenschlägen, auch wenn diese nicht direkt das Pferd treffen, wie bei dem kleinen Jährlingshengst geschehen, eindeutig unter „Einschüchterung“.
Szenenwechsel – die Hengste stehen aufgereiht im Championat im nicht gerade großen Hauptring, nur einer tanzt aus der Reihe und steigt, will sich gerne mit seinem Nachbarn kabbeln. Der Vorführer läßt ihn gewähren, denn in dieser Situation zeigt er sich doch so schön „männlich“ – und das Publikum johlt vor Vergnügen. Auch wenn der Hengst nicht aggressiv wirkt, wir alle wissen, wie schnell das umschlagen kann. Oder wie schnell er sich die Vorführleine „angelt“, oder das Halfter bricht, oder, oder, oder … „Wehret den Anfängen …“ sollte oberstes Prinzip sein, um erst gar keine gefährliche Situation heraufzubeschwören. Auch hier würde ich klar einen Regelverstoß sehen, denn in den Schauregeln heißt es in § 20: „Die Richter können verlangen, dass der Ringmaster anordnet, dass jedes Pferd, das nicht unter Kontrolle ist und/oder gefährliches Verhalten zeigt, zurückgezogen wird und dass das Pferd disqualifiziert wird.“ Kann es tatsächlich sein, dass keiner der Richter diesen Vorfall im Hauptring bemerkt hat? Oder will man sich nur nicht unbeliebt machen? Ich vermute Letzteres.
Zu guter Letzt dann noch der Hinweis, wie man als Außenstehender hier eingreifen kann: Nämlich gar nicht. Denn diese Schauen sind ein „in sich geschlossenes System“, in dem nur Teilnehmer Beschwerden einreichen können, selbst in tierschutzrelevanten Angelegenheiten! Und natürlich hackt keine Krähe der anderen ein Auge aus. Denn wenn ich heute gegen meinen Kontrahenten eine Beschwerde einlege, macht er es morgen mit mir genauso. In den Regeln für Disziplinarkomitees heißt es in § 9 “Der DC untersucht jeden von ihm selbst beobachteten Verstoß gegen die EAHSC-Regeln oder jeden mutmaßlichen Verstoß, der ihm vor dem Ende der Show gemeldet wird von: a) dem Show-Organisator, b) einem ernannten Richter oder Ringmaster; c) einem Aussteller, Besitzer oder Vorführer eines Pferdes, das in einer Klasse auf derselben Veranstaltung gemeldet ist.“
Man sieht es deutlich, diese Regeln sind nicht „pro Pferd“ gemacht, sondern nach dem Motto „The Show must go on“. Und die Verlierer sind die Pferde. Wieder einmal.
Gudrun Waiditschka