
Claudio Conradty 1942-2024 (Foto: privat)
Claudio Conradty ist tot. „Einer der alten Garde ist abgetreten“, schrieb der frühere Zuchtleiter und Geschäftsführer des Araberzuchtverbandes von Kleist, als er die Nachricht erhielt.
Gebildet, belesen, streitbar, neugierig, bodenständig, leidenschaftlich, experimentierfreudig, eigenwillig, herzlich, warmherzig, fachkundig, humorvoll, begeisterungsfähig, zukunftsgewandt. So beschreiben ihn Freunde und so haben auch wir ihn kennengelernt. Ein Pferdemann, Naturfreund, Sammler, ein Visionär, wie ihn ein Freund nannte, bedingungsloser Naturwissenschaftler, nie langweiliger Gesprächspartner, politisch interessiert, computertechnisch seiner Zeit weit voraus.
Aus einer alten Unternehmerdynastie in Röthenbach an der Pegnitz nahe Nürnberg stammend, wurde Claudio Conradty am 13.04.1942 geboren. Bereits in jungen Jahren technikbegeistert, jedes Radio zerlegend und optimierend, studierte er in München Physik und Elektrotechnik und schloss als Diplom-Ingenieur ab. In dem 1855 gegründeten Familienunternehmen, in dem er mit seinem Bruder Peter in vierter Generation tätig war, galt er als „technische Seele“, so heißt es in einem Nachruf in den Nürnberger Nachrichten. Noch während des Studiums lernte er seine erste Frau Marita kennen, eine pferdebegeisterte, angehende Medizinerin, die eine Stute und einen Pferdehänger mit in die Ehe brachte.

Claudio Conradty mit Beau in Moos, 1989
Der Grundstein einer lebenslangen Beziehung zum Pferd war gelegt.
In einem gemeinsamen Frankreich-Urlaub ritt er einen Camargue-Hengst und war von ihm so fasziniert, dass er ihn erwarb und selbst mit dem Hänger seiner jungen Ehefrau nach Deutschland holte. Aus der Paarung der Warmblutstute von Marita Conradty und dem französischen Hengst fiel das erste selbstgezogene Fohlen: „Tartufe“.
Oberhalb des Pegnitztals, in Neuhaus an der Pegnitz im Ortsteil Ziegelhütte, erwarb er 1969 etwa 90 ha Land mit schier grenzenlosen, leicht hügeligen Weiden und errichtete 1971 ein Wohnhaus mit Stallungen und unzähligen Nebengebäuden. Er wäre nicht Claudio Conradty gewesen, wenn er es sich hätte nehmen lassen, das Wohnhaus mit einem markanten Turm zu versehen. Der Blick von der Terrasse richtete sich exakt auf die auf der anderen Seite des Tals liegende Burg Neuhaus. Das „Gestüt auf der Pfürch“ war geboren. Claudio und seine erste Ehefrau reisten, mit Wohnmobil und Segelboot, gerne nach Griechenland, das er liebte. Zwei Söhne wurden geboren, aus zwei Pferden wurden mehrere, Claudio und seine erste Frau entdeckten ihre Liebe zu arabischen Pferden und darunter, für ihn aufgrund seiner Größe reitbar, zum Shagya-Araber.

Daikir (K.Dahoman II-11 / Koheilan II-2)*1975
Ab 1969 reiste er in das damalige Jugoslawien nach Borike und Karadjordjewo, später in die frühere Tschechoslowakei nach Topolcianky. Pferde aus Brebeni, Mangalia, Radautz und Babolna folgten.
Ebenfalls 1969 wurde er Mitglied des Verbandes der Züchter und Freunde des Arabischen Pferdes e.V., bekleidete über Jahrzehnte dort Ehrenämter, war Zucht- und Brennbeauftragter, lange Jahre im Vorstand und auch im geschäftsführenden Vorstand sowie der Körkommission tätig.
Mit dem Kauf eines Schimmelviererzugs aus Ungarn legte er das silberne Fahrabzeichen ab. In der Folge baute er seine Zucht der Shagya-Araber immer weiter aus. Im Bestreben, alte Blutlinien zu erhalten, reiste er viel und sammelte im In- und Ausland Pferde fast erloschener Linien. Er erwarb nicht nur Pferde aus dem östlichen Europa. Er kaufte von überall Pferde zu, so auch aus dem dänischen Gestüt Barthahus von Ulla Nyegaard und von Walter Dill aus Herzberg den noblen, braunen Koheilan II, den dieser in Topolcianky erworben hatte. Der Hengst bezog standesgemäß die Außenboxe schräg gegenüber dem Hauseingang auf der anderen Seite des Hofs, später bewohnte der braune Mersuch XIX die Boxe.
1977 trennte sich das Ehepaar, wurde 1978 geschieden und Claudio blieb zunächst alleine auf dem Hof.
Die zweite Ehefrau, Gabriele Conradty, mit der er wiederum zwei Söhne bekam, teilte seine Passion ebenfalls, führte viele Jahre mit ihm das Gestüt und war in etlichen Ehrenämtern des Araberzuchtverbandes und auch der Internationalen Shagya-Gesellschaft tätig.
Stuteneintragungstermine fanden auf dem Hof statt und Beurteilungsseminare. Besucher waren zahlreich und immer willkommen. Von den Pferden seien über alle Jahre exemplarisch genannt Dahoman II-11, Koheilan II, 70 Lenkoran VI, Scerzo, Titus und Beau, von den selbst gezogenen Hengsten Daikir, Darius, Koran II und Subeida – teils Körungssieger und leistungsgeprüft. Auf den weitläufigen Weiden stand auch unter den Stuten alles, was Rang und Namen hatte. Genannt seien hier für so viele Ayda und Siglavya. Weit über 100 Pferde wurden auf dem Gestüt geboren. Aufgrund der politischen Umwälzungen im Gebiet des früheren Jugoslawiens Mitte bis Ende der 90er Jahre und der damit bedrohten Staats- und Privatgestüte, reiste Claudio mit seiner zweiten Frau Gabriele nach Radautz und Brebeni und holte dort neben mehreren Stuten und auch Mersuch XIX sowie Dahoman XXXI.
Reitvereine befanden das Gestüt der Besuche würdig, kamen mit Bussen und Claudio Conradty ließ es sich nicht nehmen, allen Besuchern die Pferde zu präsentieren. Pferdeleute gingen auf dem Hof ein und aus. Viele Berichte über die Zucht erschienen in Fachzeitschriften, exemplarisch sei der Artikel von Hans Brabenetz (Bd. 3 der Reihe Shagya-Araber, Zeunert-Verlag) aus dem Jahr 1991 genannt.

Mersuch XIX (Mersuch XVI / 127 Shagya XXXIX-6) *1977 aus Rumänien

Die selbstgezogene Aydana (Beau / Ayda) *1987

Harapnik (Hadban XXVII / Putna) *1989
Unvergessen, wenn Claudio auf den Körungen des Zuchtverbands abends nach der Versorgung seiner Pferde in Gummistiefeln und Janker das Hotel betrat und an der Bar zu langen Gesprächen und Fachsimpeleien mit Züchterkollegen zusammensaß. Viele Stunden haben wir zusammen im Zug zu Sitzungen und zurück verbracht und debattiert, über Pferde, Menschen und die Welt.
1994 schied er aus dem Unternehmen der Familie in Röthenbach aus, das Weltruhm mit der Herstellung von Graphitelektroden erlangt hatte. Dies hinterließ tiefe Spuren. Er konzentrierte sich nunmehr auf Computer und saß in der Münchener SM Software AG im Aufsichtsrat. Bereits 1983, so berichten die Nürnberger Nachrichten, habe er 150 Rechner zu einem Netzwerk verbunden und eine Sprachlernsoftware für den Commodore 64 entwickelt.
Nach der Trennung von seiner zweiten Ehefrau blieb er erneut alleine auf dem Hof. Im Jahr 2008 musste er sich von etlichen seiner Pferde trennen, weil die Arbeit nicht mehr zu bewältigen war. Züchterkollegen übernahmen mehrere Stuten.
Die letzten Pferde verließen 2015 den Hof, darunter die braunen Hengste Daru und Midas und ein kleiner, nobler Schimmel aus der Lenkoran-Linie, eines seiner letzten Lieblingspferde. Midas wurde von Doris und Thomas Wehner bei Fulda übernommen, Daru, der heute mit 29 Jahren noch bei bester Gesundheit ist, überließ er den Züchterkollegen Gabriele und Jörn-Helge Möller in der Holledau.
Auf dem Hof erlitt er in dieser Zeit noch einen ersten Schlaganfall, von dem er sich wieder erholte. Er zog daraufhin in eine Wohnung am Starnberger See und lebte dort bis Ende des letzten Jahres selbstbestimmt. Er ließ es sich nicht nehmen, von dort aus noch zwei Mal bei Familie Möller Daru und dessen Nachwuchs zu besuchen. Einige Male rief er auch mich an, erkundigte sich nach Neuigkeiten aus der Pferdewelt und unterhielt sich mit mir über die Weltpolitik.
Er erlebte noch mit, dass das 2002 nach einer Insolvenz an einen indischen Konzern verkaufte Familienunternehmen schließlich 2022 die Elektrodenproduktion einstellte.
Der älteste Sohn Marc, aus der Ehe mit Marita Conradty, erwarb den Hof im August 2017, investierte mit Unterstützung seiner Mutter viel Zeit und Mühe und vermietet heute dort Boxen. Dessen Sohn, Claudio Conradtys Enkel Luis, 16 Jahre alt, hat die Pferdebegeisterung des Großvaters geerbt und besitzt nun auf dem Hof ein eigenes Pferd.
Nach einer Herzoperation, einem Sturz mit Oberschenkelhalsbruch, erfolgreicher Operation und schließlich erneuten Herzproblemen ging es schnell. Am Morgen des 24.12.2024 starb Claudio Conradty und mit ihm das Wissen ganzer Generationen von Pferdeleuten.
In der denkmalgeschützten Kirche in Röthenbach, die sein Vorfahr Friedrich Conradty ab 1909 maßgeblich mit geplant und unterstützt hatte – die Familie trug den Großteil der Baukosten – wurde er am 08.02.2025 mit einer Trauerfeier verabschiedet.
Zum ersten Mal begegnete ich ihm im Sommer 1978, noch im Teenageralter, auf dem Hofgut Sperberslohe bei Eichstätt. Die beiden Söhne Marc und Christoph nahmen dort, während die Eltern in Scheidung lebten, an einem Ponyferienlager teil. Ich war zum Helfen dort mit meinem New Forest Wallach und gebeten worden, etwas auf die beiden Jungen, gerade 10 und 11 Jahre alt, zu schauen. Statt im Stall waren sie eher in der Werkstatt des Guts zu finden und schmiedeten aus Hufnägeln Anhänger und Kringel. Dort auf dem Gut besuchte auch der Vater die Söhne, wo man mich ihm vorstellte. Viele Jahre später, als auch ich Mitglied im selben Zuchtverband wurde und wir uns wiedertrafen, haben wir über die gerollten Hufnägel geschmunzelt.
Lieber Claudio, mögest Du Deine Pferde auf den ewig grünen Weiden wiedersehen. Es war mir eine Ehre…
Susanne Koller