Gedanken zur Pferdezucht und -Vermarktung (I)

Bernd Zimmermann – Gestüt Amurath

Seit 1992 züchten Bernd und Gabriele Zimmermann Vollblutaraber auf ihrem Gestüt Amurath. Nicht zuletzt dank seiner früheren Tätigkeit als Vorstandsmitglied im Araberzuchtverband (VZAP) hat Bernd Zimmermann einen umfassenden Eindruck davon, was man in Hinblick auf den Araber als Freizeit- und Sportpferd als Züchter und als Verband tun müßte.

Bernd Zimmermann
Foto: Melanie Groger

IN THE FOCUS: Herr Zimmermann, Sie sind einer der Züchter, die bewußt die Schönheit eines Schaupferdes mit der Reiteignung eines Freizeit-/Sportpferdes verbinden wollen. Was macht dieses Bemühen so schwierig?
Bernd Zimmermann: Bis heute kann ich persönlich mit diesen Begrifflichkeiten nichts anfangen. Ich verstehe durchaus die unterschiedlichen Motivationen, weshalb solche Unterschiede geschaffen werden. Aber für mich persönlich haben diese „Schubladen“ keinen praktischen Nutzen.
In unserer Zucht beurteile ich jegliche züchterische Entwicklung immer vom Stutenbestand aus. Jede Stute wird zunächst anhand ihres Interieurs, Exterieurs, ihrer Bewegungsqualität und abhängig vom Alter, auch anhand der Rittigkeit beurteilt.
Wenn man sich als Züchter im Kopf von den Kategorien und Schubladen frei macht, dann ist das Bemühen, ein schönes und rittiges Pferd zu züchten gar nicht so schwierig.
Aber wir dürfen nicht ausblenden, dass in der Tat einige Dinge problematisch sind:
* Die Wahrnehmung von Typ und Schönheit eines Pferdes ist sehr subjektiv. Die Vorstellungen darüber gehen nun mal sehr weit auseinander.
* Es gibt in der Zwischenzeit sehr wenig Hengste mit objektiv dokumentierter Leistung und/oder Rittigkeit. Viele dieser Hengste sind eng mit unseren Stuten verwandt oder passen nicht zu unseren Linien. Das schränkt die Auswahl an geprüften Reitpferdehengsten deutlich ein.
* Leider haben wir in der heutigen Zeit sehr wenig Informationen über den Charakter, die Rittigkeit (zumindest Mindesteignung als Reitpferd) von Hengsten, die keine Turniere gehen oder Leistungsprüfungen haben. Es bedeutet für uns einen erheblichen Zeitaufwand, über deren Qualität oder Vererbungsleistung zuverlässige Informationen zu sammeln.

ITF: Was erwartet der Käufer von einem Freizeitpferd? Und nach welchen Kriterien trifft er die Kaufwahl?
B. Z.: Es gibt natürlich nicht den typischen Käufer eines Freizeitpferdes. Aber in der Tat kann man einige Gemeinsamkeiten erkennen. Zunächst erwartet der Freizeitreiter ein braves, nervenstarkes und allgemein anständiges Pferd. Meist wird auch sehr genau drauf geschaut, wo und wie das Pferd aufgezogen und sozialisiert wurde. Insgesamt wird meist nicht so auf Details, sondern eher auf ein insgesamt harmonisches Pferd geschaut, welches dem Käufer auch optisch gefällt. Aber bereits hier gehen die Vorstellungen sehr weit auseinander. Geschmack ist nun mal sehr subjektiv. Nach meiner Erfahrung gefällt dem Käufer eines Freizeitpferdes meist ein freundliches, mit viel Ausstrahlung und guten Bewegungen ausgestattetes Pferd.
Bei einem gerittenen Pferd kommt noch ein weiterer Faktor hinzu. Der Reiter muss sich auf und mit dem Pferd wohlfühlen. Ein gutes und sicheres Gefühl nach dem Probereiten ist ein wesentlicher Faktor für den Kauf.
Auch der Kaufpreis ist für viele Freizeitreiter ein bestimmender Faktor beim Kauf eines Pferdes. Grundsätzlich erst mal nachvollziehbar, aufs Geld zu schauen. Für uns als langjährige Züchter sind manche Vorstellungen oder Kriterien auch heute noch unverständlich, da der Kaufpreis im Leben eines Pferdes doch die geringsten Kosten darstellt.

ITF: Es wird viel von “Leistung” gesprochen. Was verstehen Sie darunter?
B. Z.: Das ist in der Tat im Hinblick auf die heutige Entwicklung der Zuchtlandschaft nicht einfach zu beantworten. So inhomogen wie die Zucht heute ist, so unterschiedlich wird auch Leistung definiert. Aber gerne nehme ich hierzu Stellung.
Aus meiner Sicht muss man Leistung nach subjektiven und objektiven Kriterien unterscheiden.
Die subjektiven Kriterien, die auch sehr unterschiedlich wahrgenommen und von jedem wohl anders bewertet werden, sind z.B.:
* Wie lässt sich das Pferd verladen und transportieren?
* Wie gut steckt das Pferd Stress und Druck weg?
* Wie verhält sich die Jungstute bei gyn. Untersuchungen?
* Wie verhält sich das Jungpferd bei der Arbeit, Anreiten usw.?
Dies sind nur exemplarisch für mich wichtige Punkte, wo ich gerade bei jungen Pferden sehr genau hinschaue. Das sind für mich individuelle Leistungen, welche selbstverständlich in Zusammenhang mit dem Charakter, Kooperationsbereitschaft und Nervenstärke eines Pferdes stehen.
Leistungen nach objektiven Kriterien betrachtet sind:
* Lebensdauer und Fruchtbarkeit eines Pferdes
* Teilnahme an Turnieren, Rennen, Distanzritten (hier sehe ich nicht nur die Erfolge, sondern bereits die regelmäßige Teilnahme bei Gesunderhaltung eines Pferdes als Leistung)
* Teilnahme an Leistungsprüfungen (Feld- und Stationsprüfungen). Diese Prüfungen schätze ich sehr, da sie neben der Leistung auch deutliche Hinweise auf die Schwerpunkte der Veranlagung eines Pferdes unter dem Sattel geben. Ebenso die objektive Einschätzung eines Fremdreiters über die Rittigkeit eines Pferdes
* Teilnahme an Stutenschauen (z.B. Prämienstutenschauen des VZAP)
* Teilnahme an Schauen (z.B. ECAHO Schauen)
Sicherlich keine vollständige Aufstellung, aber für mich insgesamt das Spektrum an Möglichkeiten, welche ich auch für unsere Zucht und zur Beurteilung des einzelnen Pferdes und die Selektion unserer Zuchtpferde nutze.
Auch wenn es platt klingt: Wir müssen auf unseren Pferden heute nicht mehr in den Krieg reiten. Die Anforderungen an das Pferd im Allgemeinen und den Vollblutaraber im Besonderen haben sich verändert. Trotzdem ist es gerade zur Gesunderhaltung jedes einzelnen Pferdes und unserer Rasse unumgänglich und wichtig, die Leistung als Selektionskriterium ernst zu nehmen.

ITF: Welche Kriterien muß ein Hengst erfüllen, wenn Sie ihn insbesondere für die Zucht eines Reitpferdes ins Auge fassen?
B. Z.: So ganz allgemein muss der Hengst die Vererbungsqualität besitzen, die Punkte an einer Stute zu verbessern, die ich verbessern möchte. Er muss möglichst über Frischsamen und mit vertretbarem Kostenaufwand (Decktaxe, Versandkosten, Nebenkosten usw.) verfügbar sein. Im Einzelfall nutzen wir auch Hengste über TG-Samen, jedoch nur wenn ich einen Hengst unbedingt haben will und über FS nicht bekommen kann.
Der Hengst selbst darf keine groben Fehler haben. Weder im Fundament noch im Bewegungsablauf. Wenn ein Hengst extrem gute Punkte hat und diese auch sicher vererbt, dann gehe ich mit kleinen Schwächen auch mal Kompromisse ein. Es hängt jedoch immer von der Stute ab, was ich mir dann noch erlauben kann. Ich selbst setze gerne junge, noch unbekannte Hengste auf durchgezüchtete, sichere Stuten ein. Wobei ich auch immer wieder auf sogenannte „Althengste“ mit zurückgreife.
Über allen Kriterien steht bei mir der Charakter und die Umgänglichkeit eines Hengstes. Für dieses Kriterium nehme ich mir sehr viel Zeit bei der Auswahl eines neuen Hengstes.
Ebenfalls ist der Bewegungsablauf beim ungezwungenen Freilaufen ein für mich wichtiges Kriterium. Wenn ich dann auch noch den Hengst unter dem Sattel sehen kann, dann wäre das ideal. Dieser Punkt kann jedoch von den wenigsten Hengsthaltern erfüllt werden. Das ist bedauerlich und zwingt mich leider immer wieder zu Kompromissen.

ITF: Wo finden Sie Informationen über geeignete Hengste und deren (nachvollziehbare, nachgewiesene) Leistung?
B. Z.: Indem wir uns sehr intensiv mit dem Zuchtgeschehen in der ganzen Welt beschäftigen. Hier spielen die Schauen weltweit durchaus eine Rolle. Die Ergebnisse der wichtigen Schauen (insbes. auch Reitklassen in den USA) schaue ich mir schon an. Gerade Blutlinien und Hengste mit Vererbung in Show- und Reitklassen versuche ich zu finden und in unsere Zucht zu integrieren. Immer wieder gibt es solche Typen auch bei uns in Deutschland. Einer davon war der leider verstorbene El Mariachi.
Wenn ich trotz Recherche nichts finden kann, schreibe oder spreche ich die Hengsthalter oder Züchterkollegen, welche den Hengst genutzt haben, selbst an.

ITF: Welche weiteren Probleme ergeben sich bei dieser “Partnerwahl”?
B. Z.: Das ist eine nahezu endlose Liste an Problemen, die wohl jeder Züchter kennt. Wir bereiten uns auf jede Zuchtsaison sehr gewissenhaft und professionell vor. Für jede Stute haben wir meist zwischen 2 und 4 Hengste in der engeren Auswahl. Zu Beginn der Zuchtsaison schrumpfen die Möglichkeiten meist sehr schnell zusammen:
* Hengste werden verkauft oder verpachtet
* Spermaqualität ist nicht immer dauerhaft vorhanden (hier gibt es viele Gründe)
* Hengste werden krank und stehen nicht zur Verfügung
* Hengste gehen plötzlich auf Schau oder Turnier und sollen nicht mehr decken
* Es stehen plötzlich keine Boxen (mehr) für Fremdstuten zur Verfügung
* Dem Besitzer fällt urplötzlich ein, keine Fremdstuten mehr zu decken oder er verdoppelt über Nacht die Decktaxe
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Probleme nicht nur auf der Hengstseite sind. Aus Sicht eines Hengsthalters ergeben sich mindestens ebenso viele Probleme im Hinblick auf die Stuten/Stutenhalter.

ITF: Welchen Tip aus Sicht des Stutenbesitzers würden Sie Ihren Züchterkollegen in Bezug auf Vermarktung eines “Leistungshengstes” geben?
B. Z.: Nach meiner bisherigen Erfahrung wäre ich mit einem Rat sehr vorsichtig, einen Leistungshengst zu vermarkten bzw. viel Geld in die Vermarktung zu investieren. Wir hatten in der Vergangenheit sehr gute Leistungshengste in Deutschland, die nicht genutzt wurden. An der Vermarktung und an der Bekanntheit der Hengste kann es nicht gelegen haben.
Daher würde ich auf jeden Fall raten, einen guten Hengst weiterhin reiterlich zu fördern und auch auf Turniere o.Ä. zu gehen. Die Erwartungshaltung an den schnellen Erfolg als Deckhengst würde ich jedoch dämpfen. Der Weg zum Erfolg als Zuchthengst ist dann doch sehr lange, zeit- und kostenintensiv. Die Erfahrung zeigt, dass sehr oft erst durch die Erfolge der Nachzucht ein gewisses Interesse an einem Hengst vorhanden ist. Die Hengste haben dann meist das Ende ihrer Karriere erreicht, bis sie als gute Reitpferde- oder Leistungsvererber bemerkt werden.
Hier sehe ich zum Beispiel solche Hengste wie Pamir I, Pamour, Dahab, Mosri Al Dahab, El Mariachi, Period oder Kamerton, die erst im hohen Alter oder gar „posthum“ als Leistungshengste erkannt werden.
Aber im Grundsatz gilt es, Züchterkollegen bei diesen Bemühungen zu unterstützen und sofern es züchterisch passt, auch solchen Hengsten eine Chance als Vererber zu geben.
ITF: Letztendlich will der Pferdekäufer ein rittiges Pferd, das angenehm im Umgang ist. Wie kann man unter den Züchtern dafür mehr Bewußtsein schaffen, auch wenn es sich nicht direkt in “Heller und Pfennig” auszahlt?
B. Z.: Das ist sicherlich ein sehr langer Prozess, welcher auch gesteuert werden muss. Hierfür ist ein Zuchtverband zuständig. Aber die Mitglieder müssen das auch wollen und die „Offiziellen“ mit einem klaren Mandat zur Umsetzung ausstatten. Hier dreht sich das Ganze dann etwas im Kreis. Es ist sicherlich unstrittig, dass verschiedene Formen von Leistungsprüfung bei Stuten und Hengsten langfristig zur Verbesserung der Rasse im Hinblick auf die Gesundheit, Langlebigkeit, Rittigkeit und Charakterfestigkeit beitragen. Dies setzt aber voraus, dass wir uns alle einig sind, dass das Arabische Pferd in erster Linie ein Reitpferd ist und wir diese Pferde in erster Linie auch für diese Nutzung züchten.

ITF: Welche Vorschläge hätten Sie an den Zuchtverband zur Förderung der Zucht arabischer Reitpferde?
B. Z.: Aus meiner Zeit im Vorstand des VZAP kenne ich viele Diskussionen um das Thema. Es geht im Grundsatz immer um die Frage, weshalb bevorzugt man eine Gruppe der Mitglieder und mit welcher Begründung. Das ist im Grundsatz auch richtig. Aber wenn ein Zuchtverband den Araber als Reitpferd fördern möchte, muss man fördern und fordern. An Zuschüsse oder Ähnliches müssen immer auch Bedingungen gekoppelt sein, um es der Gemeinschaft (Mitglieder), welche dafür bezahlt, auch vermitteln zu können.
Aber konkret: Das Turnier in Aachen hat sich sehr gut entwickelt und ist ein fester Bestandteil dieser Förderung. Das ist jedoch eindeutig zu wenig.
Ein wichtiger Punkt wäre für mich, dass wir insgesamt in der Lage sind, Messen mit gut gemachten Schaubildern mit gerittenen Pferden zu besuchen. Hier kann der Verband langfristig steuern und im Sinne aller Mitglieder Schaubilder fördern. Hier haben alle Züchter etwas davon, wenn auf der EQUITANA oder kleineren Messen gut gerittene Araber vorgestellt werden. Das ist eine langfristige Aufgabe, kostet viel Zeit und auch Geld (Transportzuschüsse usw.). Wir haben verstreut über ganz Deutschland durchaus gut gerittene Pferde. Zu diesem Thema ein Konzept zu erarbeiten, zu steuern und fördern, das kann mit gutem Willen ein Zuchtverband durchaus leisten. Für die Außendarstellung unseres Zuchtverbandes und des Arabischen Pferdes insgesamt wäre dies aus meiner Sicht ein wichtiger Schritt.
Die Teilnahme an Turnieren und Distanzritten sehe ich zunächst erst mal in der Hand der Züchter und Reiter. Das muss aus meiner Sicht jeder für sich selbst entscheiden.
Jedoch könnte die Förderung von Leistungsprüfungen (bestandene Prüfungen) ebenfalls ein Ansatz sein. Die VZAP-Sportpferdeplaketten sind bereits ein hervorragendes Instrument zur Motivation und Förderung. Neben der Plakette eine finanzielle Anerkennung für die Arbeit und Mühe, auch zur Förderung des Sports, wäre ein denkbarer Ansatz.
Wenn man wirklich den Sport mit dem Arabischen Pferd fördern möchte, muss der aktuelle Vorstand in manchen Punkten auch mal alte Denkmuster ablegen und mit Mut über seinen Schatten springen.

ITF: Die Zahlen der Fohlengeburten zeigen seit langem deutlich nach unten, dies wird vermutlich durch die Corona-Krise noch beschleunigt werden. Nun liegt in jeder Krise auch eine Chance – worin liegt Ihrer Meinung nach die Chance in dieser Krise für das Arabische Pferd?
B. Z.: Ich kann aktuell als Ergebnis dieser Krise noch keine Chance für den Markt Arabischer Pferde erkennen. Arabische Pferde sind mehr noch wie fast alle anderen Pferde purer Luxus. Auch ist die Corona-Krise global und verschont keine Märkte, auch nicht in anderen Ländern. Als Prognose sehe ich eine Fortsetzung bzw. Verstärkung der bisherigen Entwicklungen, sowohl in Deutschland als auch weltweit. Es wird eine weitere Konzentration auf aktuell „erfolgreiche und bekannte“ Linien erfolgen. Parallel läuft weltweit die Suche nach sehr guten Hengsten als genetische Alternative. Hier ergeben sich sicherlich Möglichkeiten für Züchter mit Mut und Weitblick.
Jeder einzelne Züchter wird in dieser Situation seinen Stutenbestand prüfen und in der Regel nur mit Stuten zu züchten, welche einen Zuchtfortschritt gewährleisten können. Das werden die meisten Züchter verantwortungsvoll auch tun, was mittelfristig zu einer Verbesserung der Zucht führen kann. Insofern kann man der Gesamtsituation auch Positives abgewinnen.

ITF: Besten Dank für dieses Interview und weiterhin viel Freude an Ihren Pferden.
Die Fragen stellte Gudrun Waiditschka